Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen. Begriffsverständnis zur "Verweildauer" in den §§ 15 und 16 AVR-DD. Voraussetzungen einer ergänzenden Auslegung der AVR-DD. Maßgebliche Verweildauer für die Einstufung nach Höher- und Herabgruppierung nach §§ 15 und 16 AVR-DD
Leitsatz (amtlich)
1. Die "bisherige Entgeltstufe" im Sinne des § 16 Abs. 2 AVR-DD ist die Erfahrungsstufe, nach der der Mitarbeiter vor der Herabgruppierung vergütet wurde. Im Hinblick auf die Einstufung ist nur die Verweildauer in der höheren Entgeltgruppe im Rahmen der Tätigkeit zu berücksichtigen, die vor der Herabgruppierung ausgeübt wurde (und nicht - auch - der Zeitraum, in dem der Mitarbeiter zuvor mit anderen Tätigkeiten betraut war).
2. Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter zunächst unter der Geltung des § 16 AVR-DD a.F. höhergruppiert und sodann unter der Geltung des § 16 AVR-DD herabgruppiert wurde und dies dazu führt, dass die Stufenzuordnung nach der Herabgruppierung sich gegenüber der Stufenzuordnung vor der Höhergruppierung verschlechtert.
Leitsatz (redaktionell)
1. Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen sind nach den Grundsätzen auszulegen, die für die Tarifauslegung gelten. Danach ist vom Wortlaut der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen auszugehen und dabei deren maßgeblicher Sinn zu erforschen. Der wirkliche Wille der kirchlichen Normgeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den kirchlichen Vorschriften Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch auf den systematischen Zusammenhang abzustellen.
2. Nach § 15 Abs. 3 und Abs. 4 AVR-DD entspricht die Dauer der "Erfahrungszeit" den in der Entgelttabelle angegebenen Monaten. Die in der jeweiligen Stufe vor einer Höhergruppierung zurückzulegenden Monate bezeichnet die Entgelttabelle als "Verweildauer". Sowohl die Erfahrungszeit i.S.d. § 15 AVR-DD als auch die Verweildauer i.S.d. Entgelttabelle sind jeweils bezogen auf eine bestimmte Entgeltgruppe. Es ist nicht anzunehmen, dass § 16 Abs. 2 AVR-DD sich von diesem Begriffsverständnis lösen will.
3. Erforderlich für eine ergänzende Vertragsauslegung der AVR-DD ist, dass eine unbewusste Regelungslücke besteht, die die Gerichte zu schließen befugt sind. Eine Lücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Normwerks. Normlücken wie Regelungslücken sind Lücken innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes oder Tarifvertrags. Ob eine derartige Lücke vorliegt, ist zu beurteilen vom Standpunkt des Gesetzes oder Tarifvertrags selbst, der zugrundeliegenden Regelungsabsicht und dem verfolgten Zweck des tarifvertraglichen Plans.
Normenkette
AVR-DD §§ 16, 15 Abs. 3-4
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 12.01.2022; Aktenzeichen 3 Ca 1549/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.01.2022 - 3 Ca 1549/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche der Klägerin sowie über die Frage, aus welcher Erfahrungsstufe die Klägerin ihr Grundentgelt erhält.
Die Klägerin ist seit dem 14.08.2000 für die Beklagte tätig. Im Arbeitsvertrag, den die Parteien unter dem 08.04.2009 abschlossen, heißt es auszugsweise:
"Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des A Werkes der B in Deutschland (AVR-DD) in der jeweils gültigen Fassung. Künftige Änderungen der Richtlinien gelten vom Tage des Inkrafttretens an auch für diesen Dienstvertrag."
Im Hinblick auf die Stufenzuordnung regeln die Arbeitsvertragsrichtlinien des A Werkes der B in Deutschland (nachfolgend: AVR-DD) unter anderem Folgendes:
"§ 15 Grundentgelt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
(1) Das Grundentgelt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemisst sich gemäß der Entgelttabelle der Anlage 2 nach Stufen (Einarbeitungsstufe, Basisstufe, Erfahrungsstufe 1, Erfahrungsstufe 2 und Erfahrungsstufe 3).
(2) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen eine Tätigkeit erstmals übertragen wird, erhalten das Grundentgelt nach der Einarbeitungsstufe ihrer Entgeltgruppe. Die Einarbeitungszeit in der Einarbeitungsstufe in der jeweiligen Entgeltgruppe richtet sich nach den in der Entgelttabelle angegebenen Monaten. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entgeltgruppen 1 und 2 entfällt die Einarbeitungsstufe.
(3) Nach der Einarbeitungszeit erhalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Grundentgelt ihrer Entgeltgruppe nach der Basisstufe. Die Erfahrungszeit in der Basisstufe für die jeweilige Entgeltgruppe richtet sich nach den in der Entgelttabelle angegebenen Monaten. In der Erfahrungszeit erwerben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Organisations- und Berufskenntnisse.
(4) Nach der Erfahrungszeit erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund des Zugewinns an Organisations- und Berufskenntnissen das Grundentgelt ihrer Entgeltgruppe aus der Erfahrungsstufe 1. In den EG 5 bis EG 13 erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach einer weiteren Er...