Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei der Verteilung der Arbeitszeit. Arbeitszeitverringerungsverlangen. Entgegenstehender betrieblicher Grund
Leitsatz (amtlich)
1. Der individualrechtliche Anspruch auf Teilzeitarbeit gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG ist keine das gesetzliche Mitbestimmungsrecht verdrängende Regelung gemäß § 87 Abs. 1 Eingangssatz, 1. Halbsatz. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Verteilung der Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 bleiben davon unberührt.
2. Maßgebend für die Beurteilung entgegenstehender betrieblicher Gründe gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG sind die Verhältnisse am Tag der letzten mündlichen Verhandlung.
3. Eine betriebliche Arbeitszeitregelung ist als solche kein entgegenstehender betrieblicher Grund gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG. Sie kann aber Ausdruck einer bestimmten Arbeitsablauforganisation sein, deren Störung als Beeinträchtigung betrieblicher Interessen die Ablehnung des vom Arbeitnehmer gewünschten Beginn seiner Arbeitszeit rechtfertigen kann.
4. Trotz einer bestehenden Betriebsvereinbarung über Beginn und Ende der Arbeitszeit sind individuelle, auf die Verhältnisse des Einzelfalls bezogene Vereinbarungen über die Verteilung der Arbeitszeit gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 TzBfG zulässig.
Normenkette
TzBfG § 8 Abs. 2-5, § 7 Abs. 3, § 9; BetrVG § 87 Abs. 1 Eingangssatz, Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Bocholt (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen 2 Ca 1659/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 08.08.2002 – 1 Ca 1659/02 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, die verringerte Arbeitszeit der Klägerin von 20 Wochenstunden auf montags bis freitags jeweils von 8.00 Uhr bis 12.15 Uhr zu verteilen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Verteilung der Arbeitszeit.
Die verheiratete Klägerin, die zwei Kinder im Alter von fünf und drei Jahren hat, ist bei der Beklagten seit dem 31.07.1989 als Lagerarbeiterin tätig. Die Elternzeit der Klägerin endete am 08.06.2002. Bereits am 12.04.2002 hatte die Klägerin telefonisch und am 13.04.2002 schriftlich die Reduzierung ihrer bisherigen Vollzeittätigkeit auf Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beantragt. Die Beklagte erklärte sich mit der gewünschten Verringerung der Arbeitszeit einverstanden und unterbreitete der Klägerin unter dem 29.04.2002 einen Arbeitsvertrag, in dem es heißt, der bestehende Vollzeitarbeitsvertrag vom 18.07.1990 werde aufgehoben und durch diesen neuen Teilzeitarbeitsvertrag ersetzt. Eintrittsdatum bleibe der 01.08.1989. Nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubs werde die Klägerin ab 09.06.2002 als Lagerarbeiterin in Teilzeit geführt. Zu ihren Aufgaben gehöre das Packen von Kleinpaketen und Nachräumen der Versandlagerfächer. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sollte 20 Stunden betragen. Beginn und Ende der Arbeitszeit wurden in § 3 des vorgeschlagenen Arbeitsvertrages wie folgt festgelegt:
„Montag bis Freitag je 4 Stunden. Die Arbeit beginnt bis zum 18.08.2002 täglich um 7.00 Uhr und endet um 11.15 Uhr. Eine Frühstückspause findet in der Zeit von 9.30 Uhr bis 9.45 Uhr statt.
Ab dem 19.08.2002 ändert sich die Arbeitszeit wie folgt: Arbeitsbeginn ist morgens um 6.00 Uhr, Arbeitsende um 10.00 Uhr. Eine Frühstückspause findet nicht statt. Die Arbeitnehmerin erklärt sich in Bedarfsfall mit einer anderen variablen Verteilung der Arbeitszeit einverstanden, wobei sie jedoch 20,00 Stunden in der Woche nicht überstreiten darf.”
Die Klägerin unterschrieb den vorgelegten Arbeitsvertrag nicht. Mit Schreiben vom 06.05 und 23.05.2002 bat sie um Festlegung ihrer Arbeitszeit auf 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr jeweils montags bis freitags. Bereits bei ihrem Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit am 12.04. bzw. 13.04.2002 hatte die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nur von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr arbeiten könne, weil sie sonst niemanden habe, der die Kinder beaufsichtige. Der Ehemann der Klägerin, der als Bauarbeiter tätig ist, verlässt die eheliche Wohnung bereits um 6.00 Uhr morgens.
Mit Schreiben vom 24.05.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne dem Wunsch der Klägerin (jeweils von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr zu arbeiten) nicht entsprechen, weil das gesamte Versandlager mit Wareneingang und Kommissionierung umstrukturiert werde. Mit dem Betriebsrat seit für die Mitarbeiter im Wareneingang als Arbeitsbeginn 6.00 Uhr vereinbart worden und für die Mitarbeiter der Kommissionierung als Arbeitsbeginn 8.00 Uhr, weil der Wareneingang etwa zwei Stunden Vorlauf benötige, um die Ware in die dafür vorgesehenen Fächer einzuräumen. Die Mitarbeiter der Kommissionierung könnten ihre Arbeit sinnvollerweise erst bei gefüllten Fächern beginnen. In der vergangenen Zeit seien die Mitarbeiter der Kommissionierung häufig beschäftigungslos gewesen, weil die...