Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsinteresse bei einer Eingruppierungsklage. Bezugspunkt der tariflichen Bewertung im TV-L. Leitung einer Serviceeinheit als einheitlicher Arbeitsvorgang. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Tarifcharakter einer Protokollerklärung zum Tarifvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für die allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage ist in der Regel gegeben. Ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO besteht auch hinsichtlich einer geltend gemachten Stufenzuordnung der Entgeltgruppe, da sich die Höhe der Vergütungspflicht nicht allein aus der Entgeltgruppe, sondern auch aus der Stufenzuordnung ergibt.

2. Nach § 12 Abs. 1 TV-L ist Bezugspunkt der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgang. Maßgebend für dessen Bestimmung ist das Arbeitsergebnis. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen.

3. Hat der Beschäftigte während der gesamten Dauer seiner Arbeitstätigkeit aufgrund direktionsrechtlicher Zuweisung die Funktion als Leiter auszuüben, muss er jederzeit damit rechnen, Aufgaben als Leiter zu übernehmen, auch wenn er immer wieder einzelne Zusammenhangstätigkeiten ausführt. Deshalb ist die gesamte Tätigkeit in der Funktion als Leiter der Serviceeinheit als einheitlicher Arbeitsvorgang zu sehen.

4. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen.

5. Ob eine Protokollerklärung selbst Tarifcharakter hat oder lediglich als Interpretationshilfe für die tariflichen Vorschriften dient, ist durch Auslegung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ihres Zustandekommens zu ermitteln. Maßgeblich für ihre Einordnung ist der Wille der Tarifvertragsparteien. Danach liegt eine tarifliche Regelung vor, wenn in der Vereinbarung ihr Wille zur Schaffung einer normativ wirkenden Ordnung deutlich wird.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1; TV-L § 12 Abs. 1 S. 1 Anl. EntgO EG 9b, Abs. 1 Protokollerklärung Nr. 5, § 13; TVÜ-L § 29a Abs. 2 S. 1; BAT § 22

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 06.05.2022; Aktenzeichen 4 Ca 1473/21)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 06.05.2022, 4 Ca 1473/21 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die richtige Eingruppierung der Klägerin.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung und arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Regelungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) Anwendung.

Die Klägerin absolvierte ihre Ausbildung zur Justizangestellten vom 01.08.1978 bis zum 25.06.1980 bei dem A B. Mit Arbeitsvertag vom 26.06.1980 wurde sie unbefristet als Justizangestellte beim A B unter Eingruppierung in die Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 3 des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1a zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) zunächst als Schreibkraft eingestellt. Zum 01.01.2001 wurde sie in einer Serviceeinheit für Familiensachen mit einem Anteil von 44 % an schwierigen Tätigkeiten eingesetzt. Mit Übertragung dieser Tätigkeit erhielt sie Entgelt nach Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 2a des Teils II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT. Nach der zusätzlichen Übernahme von Aufgaben einer Serviceteamleiterin im Umfang von 12 % der Gesamttätigkeit in der Serviceeinheit für Familiensachen wurde die Klägerin aufgrund der Tätigkeitsdarstellung und -bewertung vom 20.07.2018 und des Änderungsvertrags vom 26.07.2018 (ABl. 8 f.) mit Wirkung vom 01.07.2018 in die Entgeltgruppe 9 Fallgruppe 2 des Teils II Abschnitt 12.1 der Entgeltordnung zum TV-L (TV-L EntgeltO) eingruppiert. Wegen der Einzelheiten der Tätigkeitsdarstellung und -bewertung wird auf die zu der Akte gereichte Kopie (ABl. 12 ff). Bezug genommen Zum 01.01.2019 wurde die Klägerin gemäß § 29b Abs. 3 TVÜ-Länder aus der Entgeltgruppe 9 in die Entgeltgruppe 9a des Teils II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO übergeleitet. Mit Schreiben vom 11.12.2019 und 09.06.2020 (ABl. 20) beantragte die Klägerin die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b des Teils II Abschnitt 12.1 TV-L EntgeltO. Der Antrag wurde mit Schreiben v...

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