Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung - Rüge verschiedener Pflichtverletzungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist die höchstrichterliche Rechtsprechung (Urteil des BAG vom 13.03.1991, 5 AZR 133/90 AP Nr 5 zu § 611 BGB Abmahnung = AR-Blattei ES 20 Nr 21 = D-Blatt "Abmahnung: Entsch 21" = EzA § 611 BGB Abmahnung Nr 20) richtig, daß dann, wenn in einem Abmahnungsschreiben gleichzeitig verschiedene Pflichtverletzungen gerügt werden, von denen aber nur einzelne (und nicht alle) zutreffen, das Abmahnungsschreiben nicht teilweise aufrechterhalten und insoweit vom Gericht neu gefaßt werden kann, sondern die Abmahnung in diesem Fall vollständig aus der Personalakte entfernt werden muß, dann sind die Gerichte für Arbeitssachen gehalten, eine solche "Sammelabmahnung" - soweit sie vom Arbeitnehmer mit der Klage angegriffen worden ist - vollständig, dh hinsichtlich aller Abmahnungsvorwürfe zu überprüfen.
2. Soweit die Pflichtverletzungen zutreffend oder vom Arbeitgeber nicht mit der Klage angegriffen sind, ist der Arbeitgeber zugleich und ohne besonderen Antrag im Urteilstenor für berechtigt zu erklären, dem Arbeitnehmer wegen er verbleibenden Vorwürfe ein neues Abmahnungsschreiben unter dem ursprünglichen Datum zuzuleiten und zu dessen Personalakte zu nehmen. Geschieht dies nicht spätestens binnen Monatsfrist nach Rechtskraft des Urteils, so verliert im Interesse des Arbeitnehmers und zum Zwecke der Rechtsklarheit die Abmahnung insgesamt, auch wenn sie insoweit zwischenzeitlich mündlich erklärt oder wiederholt worden ist, ihre Rechtswirkung vollständig.
Orientierungssatz
Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 5 AZR 696/93.
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 23.09.1992; Aktenzeichen 2 Ca 1187/92) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Parteien streiten nur noch über die Rücknahme einer von zwei Abmahnungen und über die Entfernung des Abmahnungsschreiben aus der Personalakte.
Die Beklagte ist unter anderem mit der Lederherstellung befaßt. In ihrem Betrieb in B. besteht ein Betriebsrat. Der am 20.03.1956 geborene Kläger wurde von der Beklagten 1981 als Arbeiter eingestellt und verdiente zuletzt ca. 3.600,-- DM brutto monatlich.
Die Beklagte erteilte dem Kläger mit den Schreiben vom 18.03.1992 und 30.03.1992 (bei dem im Schreiben angeführten Datum "30.03.1991" handelt es sich unstreitig um einen Tippfehler) Abmahnungen, deren Berechtigung der Kläger bestreitet. In dem Schreiben vom 30.03.1992 heißt es:
Ihr Vorgesetzter machte uns auf folgenden Sachverhalt aufmerksam.
Am 23.03.1992 waren Sie in der Frühschicht am Kantierband der Straße 1 eingesetzt. An diesem Tage haben Sie gemeinsam mit Herrn C. Kalbfelle bearbeitet. Gegen 6.30 Uhr wurden Sie von dem Vorarbeiter, Herrn F., darauf hingewiesen, daß Sie nicht richtig kantieren. Herr F. sagte Ihnen, daß Sie viel zu viel von den hochwertigen Kalbfellen abschneiden würden. Gerade die Hinterklauen wurden von Ihnen mit einem Rundschnitt beschnitten. Dies führt natürlich zu erheblichem Verlust an Oberfläche. Durch diese Art des Beschneidens kam es pro Haut zu ca. 10,-- DM Verlust.
Trotz des Hinweises des Vorarbeiters kantierten Sie die Häute weiterhin fehlerhaft.
Gegen 7.00 Uhr machte Sie Herr P. auf Ihre unkorrekte Arbeitsweise aufmerksam. Sie antworteten gegenüber Herr P., daß Ihnen keiner gezeigt hätte, wie man Häute beschneiden muß.
Diese Äußerung Ihrerseits können wir aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung in diesem Bereich nur so deuten, daß Sie hier mutwillig mangelhafte Arbeiten geleistet haben. Wenn jemand 10 Jahre im Hause tätig ist und oft genug am Kantierband gearbeitet hat, weiß er, wie man kantieren muß. Im übrigen hatte Ihnen Herr F. schon vor dem Gespräch mit Herrn P. gesagt, wie man diese Felle kantieren muß.
Am 26.03.92 arbeiteten Sie wiederum mit Herrn C. am Kantierband. Es waren wieder Kalbfelle zu bearbeiten. Gegen 6.30 Uhr stellte Ihr Vorgesetzter fest, daß Sie an diesem Morgen wiederum falsch kantierten. Im Gegensatz zum Tag vorher, an dem Sie zuviel abgeschnitten hatten, haben Sie an diesem Morgen zuwenig abgeschnitten. Dies führte dazu, daß die von Ihnen kantierten Felle nicht ordnungsgemäß durch die Spaltmaschine laufen konnten. Dies führte zu Spaltschäden. Auch an diesem Tage sagte Ihnen Ihr Vorgesetzter, wie Sie richtig zu kantieren hätten. Auch Ihre Arbeitskollegen machten Sie darauf aufmerksam.
Gegen 8.00 Uhr wurden Sie, wie am Vortage, von Herrn P. auf Ihre schlechte Arbeitsleistung hin angesprochen. Es wurde Ihnen wieder gezeigt, welche Fehler Sie machen.
Da Sie in den letzten Jahren oft genug gezeigt haben, daß Sie kantieren können, müssen wir davon ausgehen, daß Sie auch an diesem Tage bewußt Schlechtleistungen erbracht haben.
Gegen 10.00 Uhr fingen Sie an, die Leimlederreste nicht mehr in die dafür vorgesehenen Trichter zu werfen, sondern sie im Umkreis von 3 - 4 Metern an Ihrem Arbeitsplatz auf den Boden zu werfen. Wieder einmal wurden Sie von Ihrem Vorgesetzten darauf angesprochen, und Sie wurden be...