Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Unternehmerentscheidung. Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit. Umfang der Darlegungslast. Sozialauswahl. Vergleichbarkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Trägt der Arbeitgeber vor, er habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, in Zukunft Fahrtätigkeiten nicht mehr selbst mit einem eigenen Lkw durchzuführen, sondern diese auf Drittfirmen zu übertragen, bedarf es weitergehend des Vorbringens, in welcher Weise diese Entscheidung tatsächlich umgesetzt worden ist und hierdurch die Beschäftigungsmöglichkeit für den klagenden Arbeitnehmer, der als Fahrer beschäftigt war, tatsächlich weggefallen ist.
2. Der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer bestimmt sich vorrangig nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach ihrer ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit eines anderen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht weggefallen ist, wahrnehmen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer vollzieht sich hierbei nur auf derselben Ebene der Betriebshierarchie und setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund des zugrunde liegenden Arbeitsvertrags einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Urteil vom 20.10.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1091/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 20.10.2010 – 1 Ca 1091/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der am 01.12.1951 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei Kinder, denen er unterhaltsverpflichtet ist. Die am 11.12.1978 geborene Tochter V1 des Klägers ist schwerbehindert mit einem GdB von 80 und bedarf der ständigen Begleitung (Bl. 44 f. d. A.).
Seit dem 07.02.2007 ist der Kläger aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 17.12.2007 (Bl. 108 ff. d. A.) bei der Beklagten, einem Betrieb für Stanz- und Zerspanungstechnik, Gehäusebau, Werkzeug- und Sondermaschinenbau mit mehr als 10 Arbeitnehmern ausschließlich der Auszubildenden, als Fahrer und Produktionshelfer zu einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 2.400,00 EUR beschäftigt.
Im Jahre 2009 wurde zwischen den Parteien beim Arbeitsgericht ein Kündigungsrechtsstreit – 1 Ca 308/09 Arbeitsgericht Iserlohn – geführt, in dem der Kläger mit Schriftsatz vom 16.10.2009 auf die Schwerbehinderung seiner Tochter hinwies.
Ob die Beklagte am 09.12.2009 die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, in Zukunft Fahrtätigkeiten nicht mehr selbst mit einem eigenen Pkw im bisherigen Umfang durchzuführen, sondern in erheblichem Umfang diese Fahrtätigkeiten auf Drittunternehmen zu übertragen, und ob sie des Weiteren am 08.04.2010 die weitere unternehmerische Entscheidung getroffen hat, in Zukunft ohne Produktionshelfer zu arbeiten und deren Tätigkeit auf andere Mitarbeiter zu übertragen, ist zwischen den Parteien streitig.
Unstreitig wurde der Lkw der Beklagten am 18.10.2010 verkauft (Bl. 97 d. A.). Ca. drei Monate zuvor wurde er von der Beklagten stillgelegt.
Neben dem Kläger beschäftigte die Beklagte als Fahrer einen Mitarbeiter D1, der am 08.05.1961 geboren und verheiratet ist und seit dem 20.08.2007 bei der Beklagten als Fahrer und für Tätigkeiten im Lager/Versand eingesetzt wurde. Ob der Kläger mit dem Mitarbeiter D1 vergleichbar ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 28.04.2010 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31.05.2010.
Hiergegen erhob der Kläger am 03.05.2010 die vorliegende Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht.
Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung beschäftigte die Beklagte ca. 52 bis 53 Mitarbeiter, davon etwa acht bis zehn Produktionshelfer.
Das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter D1 wurde am 17.08.2010 zum 30.09.2010 gekündigt.
Derzeit beschäftigt die Beklagte noch 42 Mitarbeiter, davon etwa zwei Produktionshelfer.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. Betriebsbedingte Gründe lägen nicht vor. Dass die Belieferung des Großkunden C3 C4 Systems durch Fremdunternehmen erfolge, könne die Kündigung des Klägers vom 28.04.2010 nicht begründen, weil dies schon während des gesamten Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien so erfolgt sei. Nach wie vor müssten Fahrertätigkeiten durchgeführt werden. Das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger sei nicht weggefallen.
Im Übrigen werde die Richtigkeit der sozialen Auswahl bestritten. Der Kläger sei mit dem Mitarbeiter D1 vergleichbar. Ebenso wie der Mitarbeiter D1 könne der Kläger auch alle Täti...