Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung. Verletzung der Anzeige. und Nachweispflicht aus § 5 Abs. 1 EFZG. Schriftsatzkündigung. Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht aus § 5 Abs. 1 EFZG
Leitsatz (redaktionell)
1. a) Der Arbeitnehmer verstößt gegen eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, indem er ein gesetzlich geschütztes Informationsinteresse des Arbeitgebers verletzt, wenn er einen Krankengeldauszahlschein vorgelegt hat, welcher zur Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit lediglich die Angabe "bis auf Weiteres" enthält, da er gem. § 5 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 EFZG zu einer genaueren Mitteilung über die voraussichtliche Dauer der weiteren Arbeitsunfähigkeit verpflichtet ist und sich eine Beschränkung dieser Pflicht auf den sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum dem Gesetz nicht entnehmen lässt.
b) Daran ändert nichts, dass der Arzt nach § 5 AU-Richtlinien nur während des Bestehens eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verpflichtet ist, während nach Ablauf der Entgeltfortzahlung bzw. der Fortzahlung von Entgeltersatzleistung eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt lediglich auf der Bescheinigung für die Krankengeldzahlung zu attestieren ist (§ 6 AU-Richtlinien); denn die AU-Richtlinien regeln lediglich das Verhältnis des Vertragsarztes zu den Krankenkassen und nicht das Verhältnis des erkrankten Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber.
2. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitgeber jedoch nicht unzumutbar, wenn er nicht zuvor versucht hat, eine Verhaltensänderung durch das mildere Mittel der Abmahnung herbeizuführen.
b) Dies gilt jedenfalls dann auch in Fällen, in denen der Arbeitnehmer im Pflichtenkreis des § 5 Abs. 1 EFZG bereits abgemahnt worden war, wenn dieser noch vor Zugang der Kündigung seinen Willen zur ordnungsgemäßen Anzeige und zum korrekten Nachweis der voraussichtlichen weiteren Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit dokumentiert hatte, indem er dem Arbeitgeber eine vollständige Bescheinigung zugeleitet hatte.
Normenkette
EFZG § 5 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; AU-Richtlinien § 5 Fassung: 2003-12-01, § 6 Fassung: 2003-12-01
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Entscheidung vom 07.02.2012; Aktenzeichen 1 Ca 1029/10) |
Tenor
1.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 7. Februar 2012 - 1 Ca 1029/10 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Auflösungsantrags richtet und soweit der Kläger mit ihr die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 220,06 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Dezember 2012 erstrebt. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
2.
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung ihrer Berufung im Übrigen - das vorbezeichnete Urteil des Arbeitsgerichts Siegen teilweise abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen, als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 2.441,81 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. April 2010 sowie Zinsen auf 220,06 Euro netto bereits seit dem 5. Dezember 2009 - und nicht erst seit dem 6. Dezember 2009 - zu zahlen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 76 % und die Beklagte zu 24 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 67 % und die Beklagte 33 % zu tragen.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Zahlungsansprüche und den Bestand des Arbeitsverhältnisses.
Der 1950 geborene, verheiratete Kläger war seit April 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Elektromonteur im Bereich Sonderanlagenbau automatisiertes Schweißen im Betrieb in Wissen gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.740,00 Euro zzgl. Kontoführungsgebühr in Höhe von 1,30 Euro und VWL AG-Anteil in Höhe von 26,60 Euro tätig.
Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Bei ihr ist kein Betriebsrat gebildet.
Auf einer mit "Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit" überschriebenen Liste vom 6. Oktober 2009(Bl. 10 d.A.)erklärten die meisten Arbeitnehmer - so auch der Kläger - ihr Einverständnis, dass für den Betrieb aufgrund Auftragsmangels "vorübergehend" Kurzarbeit angemeldet wird. Auf dieser Grundlage erstellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten im laufenden Monat eine Abrechnung unter Ansatz des vollen Bruttomonatsgehalts und im Folgemonat eine Korrekturabrechnung unter Berücksichtigung von Kurzarbeit. Dabei verrechnete sie Überzahlungen aus dem Vormonat mit den Auszahlungen für den Folgemonat. Dementsprechend wurden dem Kläger für die Monate Oktober(Bl. 11 - 12 d.A.), November(Bl. 14 - 15 d.A.)und Dezember 2009(Bl. 17 - 18 d.A.)jeweils zwei Abrechnungen erteilt. Für den Monat November 2009 nahm die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Abzug in Höhe...