Die Revision wird zugelassen
Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. tarifliche Unkündbarkeit. personenbedingte Kündigung. Krankheit. häufige Fehlzeiten. Interessenabwägung. zumutbare Überbrückung bis zum Rentenalter
Leitsatz (amtlich)
Außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber einem altersgesicherten Arbeitnehmer wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten.
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch Mängel einer Betriebsratsanhörung, welche nicht durch Rüge des Klägers sondern durch eine prozessual nicht gebotene Auflagenverfügung des Gerichts in den Prozess eingeführt wurden, sind verwertbar.
2. Bei der Interessenabwägung im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung ist die zurückliegende Vertragsdauer ebenso wie die noch bis zum Renteneintritt zu überbrückende Vertragsdauer in die Abwägung einzubeziehen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Urteil vom 07.10.2003; Aktenzeichen 2 Ca 762/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.10.2003 – 2Ca 762/03 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1940 geborene und tariflich nur noch aus wichtigem Grund kündbare Kläger, welcher seit dem Jahre 1973 zuletzt als Anlagenhelfer bei der Beklagten beschäftigt ist, gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.02.2003 mit Wirkung zum 30.09.2003.
Diese Kündigung hat die Beklagte, welche einen Betrieb der Metallindustrie führt, als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus personenbedingten Gründen ausgesprochen. Zur Begründung der Kündigung trägt die Beklagte vor, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen zur Fortführung seiner Arbeit nicht mehr in der Lage. Im Übrigen sei die Kündigung auch mit Rücksicht auf die hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und die sich hieraus ergebende unzumutbare hohe Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten berechtigt. Insoweit ist unstreitig, dass der Kläger in den Jahren 1999 bis zum Ausspruch der Kündigung wie folgt arbeitsunfähig erkrankt war:
Kalenderjahr |
Fehlarbeitstage |
lohnfortzahlungsrelevant |
1999 |
82 |
82 |
2000 |
81 |
75 |
2001 |
42 |
42 |
2002 |
134 |
97 |
2003 bis zur Kündigung |
2 |
2 |
Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit schriftlicher Kündigungsvoranzeige vom 18.02.2003 (Bl. 29 d.A.) unter Beifügung einer Aufstellung über die einzelnen Krankheitszeiträume und Entgeltfortzahlungskosten unterrichtet. Insoweit heißt es im Schreiben vom 18.02.2003 wie folgt:
„Gründe für die Kündigung
Herr A1xxxxxx E2xx ist im Bereich G4 L1xxxxx als Maschinenbediener eingesetzt. Sein durchschnittlicher Brutto-Monatslohn beträgt EUR 1.837,–.
Das Arbeitsverhältnis ist bisher durch erhebliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten und damit verbundene Entgeltfortzahlungen belastet.
Gespräche hierüber wurden mit Herrn E2xx mehrfach geführt. Immer wieder wurde Herr E2xx darauf hingewiesen, dass er bei weiterhin zu hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten mit einer Kündigung rechnen muss.
Herr E2xx hat seit 1985 an 746 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Entgeltfortzahlungen sind seitdem in Höhe von EUR 66.557,94 angefallen. Entgeltfortzahlung und Ausfalltage bedingt durch Arbeitsunfälle sind hierbei nicht berücksichtigt.
Selbst bei einem Vorhaltepersonal entstehen durch so hohe Fehlzeiten Engpässe. Notwendig werden personelle Umsetzungen und Verleihen von Personal bis hin zum Einsatz von Fremdpersonal.
Die vorliegenden Ausfallzeiten sind bis auf 37 Tage in 2002, 6 Tage in 2000 und einen Tag in 1994 ausnahmslos mit Entgeltfortzahlung belegt. Ein Hinweis auf Überlastung liegt ebenfalls nicht vor.
Herr E2xx wird an einem leidensgerechten Arbeitsplatz, der Längsträger-Punktschweißstation Kuka Roboter (APL 1078), eingesetzt.
Wir bitten um Zustimmung.”
Der Kläger hält die ausgesprochene Kündigung für unwirksam und macht geltend, weder könne von einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit ausgegangen werden, da er jeweils nach dem Ende der aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten seine Arbeit fortgeführt habe, noch könne die Beklagte die Kündigung auf den Gesichtspunkt übermäßig hoher Entgeltfortzahlungskosten stützen. In Anbetracht der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers von rd. 30 Jahren und des Lebensalters des Klägers mit nunmehr 62 Jahren könne nicht von einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung ausgegangen werden.
Durch Urteil vom 07.10.2003 (Bl. 55 ff d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, für eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Klägers seien hinreichende Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Auch wenn der Kläger zuletzt hohe Fehlzeiten aufgewiesen habe, sei er bis zuletzt immer wieder zwischen den Kr...