Die Revision wird zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündi gung, wenn die ordentliche Kündigung durch Tarifvertrag ausgeschlossen ist (Parallelverfahren zu LAG Hamm vom 26.02.2004 – 8 Sa 1897/03). Tarifliche Unkündbarkeit. Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten ist unwirksam, wenn die Weiterbeschäftigung durch das zeitnahe altersbedingte Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb für den Arbeitgeber zumutbar ist. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer dauernd leistungsunfähig ist.

2. Kündigungsgründe, die in der Betriebsratsanhörung nicht mitgeteilt wurden, finden im Kündigungsschutzprozess keine Berücksichtigung.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; MTV Metallindustrie NRW § 20 Nr. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Urteil vom 16.07.2004; Aktenzeichen 3 Ca 903/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.07.2004 – 3 Ca 903/03 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 21.02.2003 nicht beendet worden ist.

Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner am 13.03.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.02.2003.

Der am 06.05.1940 geborene verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 04.08.1976 als Maschinenbediener tätig. Er erzielte zuletzt einen monatlichen Verdienst von 2.381,00 EUR.

Mit Schreiben vom 18.02.2003 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist von sieben Monaten zum Monatsende an. Die Kündigungsgründe beschrieb sie wie folgt:

„Das Arbeitsverhältnis ist bisher durch erhebliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten und damit verbundene Entgeltfortzahlungen belastet. Gespräche hierüber wurden mit Herrn C1xxx mehrfach geführt. Immer wieder wurde Herr C1xxx darauf hingewiesen, dass er bei weiterhin so hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten mit einer Kündigung rechnen muss.

Herr C1xxx hat seit 1985 an 1073 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Entgeltfortzahlungen sind seitdem in Höhe von EUR 61.802,78 angefallen. Entgeltfortzahlung und Ausfalltage bedingt durch Arbeitsunfälle sind hierbei nicht berücksichtigt.

Selbst bei einem Vorhaltepersonal entstehen durch so hohe Fehlzeiten Entpässe. Notwendig werden personelle Umsetzungen und Verleihen von Personal bis hin zum Einsatz von Fremdpersonal. Die vorliegenden Ausfallzeiten sind 15 Tage in 2001, 12 Tage in 2000, 103 Tage 1999, 164 Tage in 1997, 51 Tage in 1996, 44 Tage in 1995 und 31 Tage in 1993 ohne Lohnfortzahlung.

Ein Hinweis auf Überlastung liegt ebenfalls nicht vor.

Ein leidensgerechter freier Arbeitsplatz steht nicht zur Verfügung.”

Dem Anhörungsbogen war als Anlage eine Auflistung der in den Jahren 1995 bis 1998 entstanden Lohnfortzahlungskosten beigefügt. Die Krankheitszeiträume, die Anzahl der ausgefallenen Arbeitstage und die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten wurden in der Anlage bezogen auf den Zeitraum 01.01.1999 bis 01.03.2003 im Einzelnen aufgeschlüsselt.

Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 20.02.2003, weil der Kläger zur Zeit krank und der Betriebsrat nicht in der Lage sei, eine Befragung gemäß § 102 durchzuführen. Er sei auch nicht in der Lage eine Prognose abzugeben und halte die Kündigung für nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin am 21.02.2003 fristlos mit sozialer Auslauffrist von sieben Monaten zum 30.09.2003.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Verbandzugehörigkeit die Tarifverträge für die Metallindustrie NRW Anwendung. Gemäß § 20 Ziff. 4 MTV kann das Arbeitsverhältnis des Klägers nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Wegen der Krankheitsursachen des Klägers wird auf die vorgelegte Auskunft der AOK Westfalen-Lippe vom 30.06.2003 (Bl. 39 und 40 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Er gehe davon aus, dass die häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erkrankung der Atemwege und des Stützapparates aufgrund geänderte Lebensführung zukünftig deutlich verringert würden.

Demgegenüber meint die Beklagte, aufgrund der außerordentlich häufigen und langen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers sowie der Größenordnung der entstandenen wirtschaftlichen Belastungen sei eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszuge gestellten Anträge auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 16.07.2003 mit der Begründung abgewiesen, trotz der ordentliche...

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