Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsarzt. Einsatzbeschränkung. einstweiliger Rechtsschutz. Beschäftigungsanspruch. Einschränkung des Direktionsrechts durch ärztliches Votum. Durchsetzung des Anspruchs im einstweiligen Verfügungsverfahren. kein Anspruch auf Entbindung von der Schweigepflicht. keine medizinische Begründung bei Votum des Arztes erforderlich

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Spricht der Betriebsarzt des eigenen medizinischen Dienstes des Arbeitgebers für eine Arbeitnehmerin eine zeitlich befristete Einsatzbeschränkung aus (hier: Einsatz einer Flugbegleiterin für 6 Monate nur auf Langstreckenflügen), so verhält sich der Arbeitgeber ermessensmissbräuchlich, wenn er sich hieran nicht hält, es sei denn, die Einschränkung seines Direktionsrechts ist ihn aus triftigen sachlichen Gründen unzumutbar oder er kann triftige sachliche Indizien anführen, die das Votum des Betriebsarztes ungerechtfertigt erscheinen lassen. Dass der schriftlichen Verfügung des Betriebsarztes keine medizinische Begründung beigefügt ist, ist dabei unerheblich.

2.) Kündigt der Arbeitgeber an, die betriebsärztliche Verfügung nicht befolgen zu wollen, so kann die Arbeitnehmerin ihren Anspruch auf Beschäftigung nach Maßgabe der betriebsärztlich verfügten Einsatzbeschränkung auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen.

 

Normenkette

EFZG § 5 Abs. 1; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 18.06.2013; Aktenzeichen 6 Ga 74/13)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2013 in der Fassung des Nichtabhilfe-Beschlusses vom 08.08.2013 abgeändert:

Die Antragsgegnerin wird für die Zeit bis zum erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch für die Zeit bis zum 16. November 2013, verpflichtet, die Antragstellerin ausschließlich im Langstreckenbereich als Flugbegleiterin einzusetzen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

 

Gründe

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2013 in der Fassung des Nichtabhilfe-Beschlusses vom 08.08.2013 ist zulässig und begründet. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat die Antragstellerin sowohl einen Verfügungsanspruch wie auch einen Verfügungsgrund für ihr Antragsbegehren schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat dem gegenüber in ihrer Beschwerdeerwiderung keine erheblichen Einwände erhoben, die dem Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung entgegenstehen.

1. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin, für eine Übergangszeit, deren Dauer im Tenor dieses Beschlusses beschrieben ist, nur im Langstreckenbereich als Flugbegleiterin eingesetzt zu werden, folgt aus dem Arbeitsvertrag der Parteien in Verbindung mit der daraus folgenden arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht.

a. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin seit geraumer Zeit als Flugbegleiterin beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag ist die Antragstellerin verpflichtet, nach den näheren Weisungen der Antragsgegnerin ihre Arbeitsleistung als Flugbegleiterin zu erbringen. Ihrer Arbeitspflicht korrespondiert aber auch ihr Anspruch, nach Maßgabe des Arbeitsvertrages beschäftigt zu werden.

b. Ihre vertraglich geschuldete Arbeit als Flugbegleiterin kann die Antragstellerin ebenso gut auf Langstreckenflügen wie andererseits im Kurzstreckenbereich erbringen. In welchem dieser Bereiche die Antragsgegnerin die Antragstellerin jeweils einsetzt, ist grundsätzlich ihrem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht überlassen. Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht ist jedoch, wie § 106 Satz 1 GewO gesetzlich vorschreibt, nach Maßgabe "billigen Ermessens" auszuüben. Dies bedeutet, dass die Arbeitgeberin bei Ausübung ihres Direktionsrechts nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerin angemessen zu berücksichtigen hat.

c. Die Antragstellerin hat durch Vorlage eines betriebsärztlichen Votums des medizinischen Dienstes der Antragsgegnerin selbst hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie derzeit, konkret im Zeitraum vom 16.05. bis 16.11.2013, aus gesundheitlichen Gründen ihre Tätigkeit als Flugbegleiterin nur im Langstreckenverkehr ausüben kann.

aa. Der Aussagekraft des betriebsärztlichen Votums vom 16.05.2013 steht entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Personalabteilung der Antragsgegnerin in keiner Weise entgegen, dass dort keine medizinische Begründung aufgeführt ist.

aaa. Das Arbeitsgericht und die Antragsgegnerin verkennen, dass es dem eine solche Bescheinigung ausstellenden Arzt unter Strafandrohung verwehrt ist, Diagnosen und damit im Zusammenhang stehende medizinische Einzelheiten des Gesundheitszustandes einer untersuchten Person Dritten gegenüber offenzulegen, wenn nicht die untersuchte Person den Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet. Dritter in diesem Sinne ist auch die Arbeitgeberin.

bbb. Die Arbeitgeberin hat auch keinen arbeitsvertraglichen Anspruc...

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