Entscheidungsstichwort (Thema)
Unkündbarkeit nach § 15 AVR
Leitsatz (amtlich)
Bei der Auslegung des Kündigungsschutzes nach § 15 AVR für ordentlich unkündbare Arbeitnehmer sind dieselben Maßstäbe anzulegen wie für den Kündigungsschutz ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst.
Normenkette
AVR § 15
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Urteil vom 30.04.2009; Aktenzeichen 4 Ca 3047/08 G) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 30.04.2009 – 4 Ca 3047/08 G – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Die Beklagte betreibt zwei Krankenhäuser, nämlich das H sowie das S.
Der am 26.01.1966 geborene Kläger, ledig, ist zu 100 % schwerbehindert aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls.
Im Vordergrund stehenden Behinderungen des Klägers sind:
- Gehbehinderung durch Fehlstellung beider Füße
- Eingeschränkte Beweglichkeit beider Arme und des linken Daumens
- Gestörte Augenmuskelkoordination und rechtsseitige Gesichtsnervenrestlähmung
- Minderung der Merkfähigkeit, eingeschränkte Auffassungsgabe, psychosomatische Verlangsamung, Gleichgewichtsstörungen und Höhenangst
- Hirnorganisches Anfallsleiden, unter medikamentöser Therapie, seit Jahren anfallsfrei.
Zum 01.09.1990 wurde der schwerbehinderte Kläger als Verwaltungsangestellter von der Beklagten eingestellt. Arbeitsvertraglich ist die Anwendung der AVR in ihrer jeweiligen Fassung vereinbart. Die monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 1.900,00 EUR.
Mit seinen Behinderungen wurde der Kläger in der zentralen Poststelle im Krankenhaus L mit folgenden Tätigkeiten betraut:
- Post- und Paketannahme
- Postverteilung in die Postfächer
- Postverteilung im Haus, sofern dieses nicht von den Abteilungen nicht selbst abgeholt wurde
- Bearbeitung des Postausgangs, sortieren der Post nach dem beauftragten Zustellunternehmen (D)
- Kopierarbeiten am Zentralkopierer
- Abrechnung von Essenskarten für die Mitarbeiterverpflegung
Die Beklagte wurde seit Mitte 2007/Anfang 2008 als eine Einrichtung krankenhausrechtlich geführt. Seitdem führte sie häuserübergreifend organisatorische Veränderungen der Arbeitsabläufe durch. Im Juli 2007 beschloss sie die Abschaffung der zentralen Poststelle. Mehrere Zustimmungsanträge der Beklagten an das Integrationsamt bezüglich einer deswegen beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Klägers nahm sie schließlich zurück. Diesbezüglich holte sie insgesamt drei arbeitsmedizinische Gutachten zu der Frage der Einsetzbarkeit des Klägers ein. Das Gutachten vom 28.02.2008 (Bl. 112 bis 114 d. A.) führte u. a. Folgendes aus:
„In seiner Stellungnahme vom 18.09.2007 betont Kollege F, dass die besichtigten Arbeitsplatzalternativen (Küche/Wäscherei und Bettenzentrale) nicht im vollen Umfang ganztägig ausgeführt werden können. Außerdem regt er damit auch schon indirekt an, durch Kombinieren unterschiedlicher leichter Tätigkeiten eine neue Arbeitsstelle zu schaffen. Inzwischen wurden auch von Schwerbehindertenvertretung und Mitarbeitervertretung weitere Vorschläge für leichte Tätigkeiten vorgelegt. Deren wirtschaftlicher Sinn und Unsinn kann jedoch nicht Gegenstand medizinischer Begutachtung sein und musste mit den Interessenvertretern diskutiert werden.”
In einer gemeinsamen Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung und der Mitarbeitervertretung vom 03.09.2007 an die Geschäftsleitung der Beklagten hieß es (Bl. 332 d. A.):
„Wir stellen fest, dass jegliche in der Vergangenheit und während des Gesprächs und der Betriebsbegehung vom 28.08.2007 von uns und anderen Gesprächsteilnehmern geäußerten Vorschläge zur Arbeitsplatzsicherung von Herrn P F sofort abgelehnt wurden. Sie seien wirtschaftlich für die KKO nicht vertretbar.
Die von Herrn S als Personalleiter alternativ vorgeschlagenen Einsatzmöglichkeiten wurden unserer Meinung nach nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Vielmehr entstand bei uns der Eindruck, dass es vorrangig um die Wirtschaftlichkeit, jedoch nicht um einen ernsthaften Versuch zur Weiterbeschäftigung des schwerbehinderten Mitarbeiters gehe. Unserer Einschätzung nach wurden das Gespräch und die Begehung lediglich dazu anberaumt, ein erneutes Kündigungsverfahren nicht wiederholt durch einen Formfehler scheitern zu lassen.”
In einem Gespräch am 19.11.2007 bot die Fürsorgestelle und der Integrationsfachdienst eine Mehrzahl von Fördermöglichkeiten für die Beschäftigung des Klägers an (Gesprächsprotokoll über den Termin vom 19.11.2007, Bl. 336 d. A.).
Auf ein erneut von der Beklagten eingeleitetes Zustimmungsverfahren erteilte das Integrationsamt durch Bescheid vom 19.11.2008 (Bl. 360 ff. d. A.) die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.
Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 21.11.2008 die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum 30.06.2009 aus.
Ab dem 05.11.2008 wurde der Kläger freigestellt.
Gegen die Kündigung wehrte sich der Kläger fr...