Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines nachgeschobenen und vor Zugang der Kündigung bestehenden Kündigungsgrundes
Leitsatz (amtlich)
Das Nachschieben eines Kündigungsgrundes kommt nur dann in Betracht, wenn dieser Grund bereits vor Zugang der Kündigung existierte.
Einzelfall zur Annahme eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung (hier mangels Abmahnung und wegen Zeitablaufs verneint).
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 22.03.2023; Aktenzeichen 2 Ca 7109/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 22.03.2023 - 2 Ca 7109/22 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses, um die Erteilung eines Zeugnisses und um Entgeltansprüche in Höhe eines Betrages, der sich nach der Darstellung des Klägers aus der Differenz zwischen den tatsächlich ausgezahlten Löhnen einerseits und dem gesetzlichen Mindestlohn andererseits ergibt. Im Zusammenhang mit der Kündigung stehen wechselseitige Vorwürfe im Raum: Während der Beklagte dem Kläger vorwirft, dieser habe Geld unterschlagen, Waren zum eigenen Genuss konsumiert und mit einem Messer auf Verpackungen geworfen, ist es der Kläger, der behauptet, der Beklagte habe ihn erniedrigt, festgehalten und schließlich vergewaltigt.
Der Kläger ist seit dem 01.12.2020 bei dem Beklagten als Verkaufsmitarbeiter beschäftigt. Vereinbart ist ein Monatsgehalt in Höhe von 1.646,00 Euro brutto bei einer 40-Stunden-Woche. Der Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit dem Verkauf von elektrischen Zigaretten nebst Ambiente befasst. Im Betrieb sind nicht mehr als zehn Beschäftigte tätig.
Für den Monat November 2022 zahlte der Beklagte dem Kläger kein Gehalt aus.
Am 08.12.2022 kam es zu einem Zusammentreffen des Klägers u.a. mit dem Beklagten, dessen Umstände zwischenzeitlich zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten und einer Hausdurchsuchung bei ihm geführt haben.
Mit Schreiben vom gleichen Tag, dem 08.12.2022, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Mit der seit dem 29.12.2022 beim Arbeitsgericht Köln anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, die vom Beklagten behaupteten Kündigungsgründe seien allesamt unzutreffend oder nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Er habe kein Geld unterschlagen. Manche Verkäufe seien auf Weisung des Beklagten zum Zwecke der Steuerhinterziehung nicht gebongt worden. Das Werfen mit Messern auf Versandkartons sei bei dem Beklagten üblich und dem Inhaber schon lange bekannt und toleriert. Das Zusammenstellen von Liquids zum Eigenbedarf sei seitens des Beklagten gestattet gewesen.
Mit der Klage - so der Kläger weiter - begehre er außerdem die Zahlung des Entgelts für den Monat November 2022 in Höhe von 1.646,00 EUR. Außerdem fordere er die Auszahlung der Lohn-Differenzen zum gesetzlichen Mindestlohn für den Zeitraum vom 01.07.2022 bis zum 08.12.2022. Dem Antrag hinsichtlich der letztgenannten Forderung liege die folgende Berechnung zu Grunde: Bei einem Monatsgehalt in Höhe von 1.646,00 EUR und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden betrage der durchschnittliche Bruttostundenlohn 10,29 EUR. Ab dem 01.07.2022 habe die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns demgegenüber 10,45 EUR betragen. In der Zeit vom 01.07.2022 bis 30.09.2022 habe er an 66 Tagen jeweils 8 Stunden gearbeitet. Es ergebe sich daher eine Differenz von 84,48 EUR. Ab dem 01.10.2022 habe die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns 12,00 EUR betragen. In der Zeit vom 01.10.2022 bis 08.12.2022 habe er an 48 Tagen jeweils 8 Stunden gearbeitet. Die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten bzw. geschuldeten Entgelt und dem gesetzlichen Mindestlohn betrage daher für diesen Zeitraum 656,64 EUR. Aus der Addition mit dem Differenzbetrag für die Zeit bis zum 30.09.2022 in Höhe von 84,48 EUR errechne sich so der mit dem Antrag zu 6 geforderte Betrag.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 08.12.2022, zugegangen am 08.12.2022, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom gleichen Tage beendet wird;
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 15.01.2023 hinaus fortbesteht;
- den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Zwischenzeugnis und - hilfsweise für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - ein entsprechendes Endzeugnis zu erteilen;
- den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als "Verkaufsmitarbeiter" weiter zu beschäftigen;
- den Beklagten zu verurteilen, an den...