Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl. Leistungsträger. Herausnahme der Leistungsträger. Interessenausgleich. Namensliste. grobe Fehlerhaftigkeit. Darlegungslast. Massenentlassung. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen, ist außerhalb wie innerhalb eines Insolvenzverfahrens auch die Herausnahme sog. Leistungsträger aus der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO).
2. Findet der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auf die Prüfung der sozialen Auswahl Anwendung, braucht der Arbeitgeber die Gründe für die fehlende Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und die Ausklammerung von Leistungsträgern zunächst nur in „groben Zügen” darzulegen.
3. Die Massenentlassungsvorschriften nach §§ 17 ff. KSchG lassen sich nicht im Sinne der Entscheidung des EuGH in Sachen Junk ./. Kühnel (Rs.C – 188/03) richtlinienkonform auslegen. Für Altfälle ist jedenfalls Vertrauensschutz zu gewähren.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 S. 2; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; KSchG § 17 ff.
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 05.08.2004; Aktenzeichen 6 Ca 10860/03) |
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.08.2004 – 6 Ca 10860/04 – wird zurückgewiesen.
2) Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der geborene, verheiratete Kläger, Vater von zwei geborenen Kindern, war seit 1976 bei der F GmbH & Co., Kessel-Apparatebau, die in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigte, zu einem von ihm behaupteten Bruttomonatsverdienst von zuletzt durchschnittlich 2.862,78 EUR tätig. Er verfügt über eine Ausbildung als Schlosser und war seit 1978 zunächst für elf Jahre als Vorarbeiter in der Endmontage tätig. Anschließend arbeitete er sechs Jahre lang als Maschinenbediener, wozu er eine mehrtägige Einführung beim Hersteller erhalten hatte. Sodann folgte für acht Jahre ein Wechsel als Hilfskraft in die Abteilung „Marketing/Messebau”, in der sich seine Tätigkeit im wesentlichen auf Messebau- bzw. -aufbau und das Versenden von Prospekten erstreckte.
Über das Vermögen der F GmbH & Co. wurde unter dem 01.08.2003 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Kurz darauf zeigte der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit an.
Unter dem 31.07.2003 war die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dr. N und Partner in einem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, die Erfolgsaussichten für die Fortführung der F GmbH & Co. seien positiv einzuschätzen, wenn der Personalbestand sofort reduziert würde. In dem daraufhin erstellten Sanierungskonzept war vorgesehen, die Marketingabteilung dadurch aufzulösen, dass der Messebau an Dritte vergeben und sonstige Aufgaben auf andere Unternehmensbereiche verlagert werden sollten.
Unter dem 21.08.2003 schlossen der Beklagte und der bei der F GmbH & Co. bestehende Betriebsrat einen Interessenausgleich. Dieser sah zur Neustrukturierung des Unternehmens die betriebsbedingte Kündigung von 70 Arbeitnehmern vor, die in einer dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste aufgeführt waren. Unter ihnen befand sich auch der Kläger. Des weiteren hielt der Interessenausgleich unter Ziff. 3.1 fest, dass der Betriebsrat zu den Kündigungen gem. § 102 BetrVG angehört worden sei. Zu den beabsichtigten Kündigungen erhielt der Betriebsrat ein ebenfalls vom 21.08.2003 datierendes, alle beabsichtigten Kündigungen ohne Spezifizierung umfassendes Anhörungsschreiben; dazu enthielt er sich der Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 26.08.2003 kündigte der Beklagte dem Kläger unter Berufung auf dringende betriebliche Gründe zum 30.11.2003. Gleichzeitig mit dem Kündigungsschreiben erhielt der Kläger ein weiteres Schreiben des Beklagten vom 25.08.2003, in dem dieser mitteilte, er habe einen Investor gefunden, der bereit sei, das Unternehmen unter der Voraussetzung von Gehaltsverzichten und einer Personalreduzierung fortzuführen. Das bedeute, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch nach Betriebsübernahme durch den Investor nicht möglich sei.
Die Massenentlassungsanzeige des Beklagten ging am 28.08.2003 beim (damaligen) Arbeitsamt ein. Dieses legte die Freifrist gem. § 18 Abs. 4 KSchG auf die Zeit vom 29.09. bis 27.12.2003 fest.
Zum 01.12.2003 wurde das Unternehmen an die F Heiz- und Trinkwassersysteme GmbH veräußert.
Mit seiner am 17.09.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat sie wegen Fehlens betrieblicher Erfordernisse, mangelhafter sozialer Auswahl, Verstoßes gegen die Unkündbarkeitsregelung in § 20 Nr. 4 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV), nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung, Verstoßes gegen ...