Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Anhörung des Betriebsrats zu einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG angehört, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat. Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände (BAG, Urteil vom 16.09.2004 - 2 AZR 511/03 - m. w. N.).

2. Der Grundsatz der subjektiven Determinierung des Anhörungsverfahrens entbindet den Arbeitgeber nicht von seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht, den Betriebsrat zutreffend über die von ihm herangezogenen Kündigungsgründe zu unterrichten. Der Arbeitgeber muss seinen Wissensstand richtig an den Betriebsrat weitergeben. Ein aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung stellt keine ordnungsgemäße Anhörung dar (BAG, Urteil vom 24.11.24.11.2005- 2 AZR 514/04 - m. w. N.).

 

Normenkette

BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 17.04.2014; Aktenzeichen 10 Ca 6204/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.04.2014 - 10 Ca 6204/13 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 29.07.2013, zugegangen am gleichen Tag, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den vereinbarten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Die im Jahre 1963 geborene Klägerin, verheiratet und Mutter eines bei Klageerhebung 27-jährigen Studenten, mit einem Grad der Behinderung von 40 und mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt, ist seit dem November 2002 bei der Beklagten beschäftigt, ursprünglich als Erzieherin und seit dem Jahre 2006 als Ergänzungskraft. Das Monatsgehalt der Klägerin beträgt etwa 2.400,-- € brutto. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages vom 12.05.2003 wird Bl. 6 ff. d. A. verwiesen. Die Beklagte betreibt 27 Kindertagesstätten in Köln und beschäftigt einige hundert Mitarbeiter.

Im April 2010 konnten sich die Parteien nach längerer, fortdauernder Erkrankung der Klägerin seit dem Januar 2010 nicht auf eine stufenweise Wiedereingliederung über das sog. Hamburger Modell einigen, weil die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt hatte, wonach sie nicht mehr als 5 Kg heben und tragen dürfe.

Mit Bescheid vom 17.06.2010 (Bl. 10 f. d.A.) wurde bei der Klägerin zunächst ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Laut Bescheid lagen folgende Beeinträchtigungen vor: psychische Behinderung, rückfälliges Wirbelsäulen- und Schulter Syndrom, Bandscheibenschäden, Meniskusschäden, Allergie und Exanthem.

Die Betriebsmedizinerin äußerte mit Schreiben vom 01.09.2010 arbeitsmedizinische Bedenken gegen den weiteren Einsatz der Klägerin in der Unterdreijährigen-Gruppe wegen der Leiden im Stütz- und Bewegungsapparat. Unter der Voraussetzung, dass der Klägerin ein ergonomisch ausgerichteter Erzieherinnenstuhl zur Verfügung gestellt werde, bestünden keine arbeitsmedizinischen Bedenken gegen die Betreuung von älteren Kindern. Wegen der weiteren Einzelheiten der Mitteilung vom 01.09.2010 wird auf Bl. 51 f. d. A. verwiesen.

Nach einem Arbeitsplatzkonflikt an der bisherigen Einsatzstelle der Klägerin, der Kita H -S -S , sowie der Durchführung einer Kurmaßnahme setzte die Beklagte die Klägerin in unterschiedlichen Kindertagesstätten mit Vertretungsdiensten ein, zunächst in der Kita A (K -R ), in der Zeit vom 22.11.2010 bis 30.11.2010 in der Kita S (K -K ).

Am 01.12.2010 fand an ein Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) statt, in dem u.a. vereinbart wurde, dass die Beklagte einen Erzieherinnenstuhl beantragt und nach einem festen Einsatzort für die Klägerin sucht, es sollte auch geprüft werden, ob ein Einsatz in der Kita H -S -S möglich ist. Die Klägerin hatte in diesem Gespräch darauf hingewiesen, dass sie zur Gesundung einen festen Arbeitsplatz benötige und sie nicht weiter als Springerin eingesetzt werden wolle. An der früheren Arbeitsstelle habe sie sich wohl gefühlt. Den Vorschlag der Beklagten zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wies die Klägerin zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des BEM-Gesprächs vom 01.12.2010 (Bl. 532 f. d.A.) Bezug genommen.

Laut fachärztlichem Befundbericht vom 10.03.2011 (Bl. 176 d.A.) stellt die ungeklärte Arbeitssituation eine psychische Belastung für die Klägerin dar. Zum Errei...

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