Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestehen eines Anspruchs auf tatsächliche Beschäftigung als Voraussetzung eines arbeitsvertraglichen Anspruchs auf die Bereitstellung von Arbeitsmitteln
Leitsatz (amtlich)
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch besteht nur, soweit nicht im Einzelfalle überwiegende schutzwürdige Interessen der arbeitgebenden Partei entgegenstehen.
Die Ungewissheit über die objektive Rechtslage während der Dauer eines Kündigungsschutzprozesses begründet regelmäßig ein dem Beschäftigungsinteresse der klagenden Partei entgegenstehendes überwiegendes und schutzwertes Interesse der arbeitgebenden Partei an der Nichtbeschäftigung und lässt deswegen einen Beschäftigungsanspruch für die Prozessdauer entfallen.
Der Status als Vorfeld-Initiator einer Betriebsratswahl stellt keinen geeigneten Aspekt dar, um die Interessenabwägung im Hinblick auf den allgemeinen Beschäftigungsanspruch zu entscheidend zu beeinflussen. Die besonderen Kündigungsschutzregelungen für bestimmte Personengruppen im Rahmen der Betriebsverfassung sollen in erster Linie die Wahl der Betriebsverfassungsorgane und die Kontinuität ihrer Arbeit sichern (vgl. BT-Drs. 19/28899, 25). § 15 KSchG dient damit nicht primär den persönlichen Interessen des erfassten Personenkreises, sondern den kollektiven Interessen der Belegschaft an der unabhängigen und von willkürlichen Maßnahmen der arbeitgebenden Partei nicht bedrohten Amtsführung des Betriebsrats (vgl. BAG, Urteil vom 14.02.2002 - 8 AZR 175/01, juris, Rn. 48; BAG, Urteil vom 27.09.2012 - 2 AZR 955/11, juris, Rn. 23; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, 16. Aufl. 2019, KSchG 15 Rn. 1).
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 3 b, 3b
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 06.12.2023; Aktenzeichen 4 Ga 27/23) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgserichts Bonn vom 06.12.2023 - 4 Ga 27/23 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Verfügungskläger auferlegt.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen im Rahmen des Berufungsverfahren im einstweiligen Rechtsschutz zuletzt noch über den Anspruch des Verfügungsklägers auf den Zugang zu betrieblichen Kommunikationssystemen der Verfügungsbeklagten.
Die Verfügungsbeklagte gehört zu einer Unternehmensgruppe, die im Bereich der Cybersicherheit für die Industrie und das Gesundheitswesen tätig ist. Unternehmensgegenstand der Verfügungsbeklagten ist die Erbringung von Marketing- und Vertriebsdienstleistungen in Bezug auf Cybersicherheitssoftware und damit verbundene Produkte und IT-Dienstleistungen. Die Verfügungsbeklagte unterhält keine Büroflächen oder Sozialflächen. Alle Mitarbeitenden sind ausschließlich im Home Office tätig. Die Kommunikation untereinander findet über elektronische Kommunikationsmittel statt, insbesondere über E-Mails sowie Videokonferenzsoftware und Instant-Messaging-Dienste. Bei der Verfügungsbeklagten ist kein Betriebsrat gebildet.
Der Verfügungskläger war seit dem 03.09.2020 auf Basis des Arbeitsvertrages vom 31.08./01.09.2020 (Bl. 9 ff. der erstinstanzlichen Akte) bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt; zuletzt als Senior Presales und Team Lead DACH und Middle East. Sein jährliches Bruttogrundgehalt betrug 135.000,000 EUR. Der Verfügungskläger erhielt zudem leistungsbezogene Provisionszahlungen in Höhe von bis zu 30.000,00 EUR jährlich. Seine Arbeitstätigkeit erbrachte er von seiner Wohnung in B aus im Homeoffice.
Am 06.07.2023 wurde der Verfügungskläger von einem Kollegen zu einer von diesem gegründeten What'sApp-Gruppe mit dem Namen "BR-Wahl" hinzugefügt, in welcher in der Folge Textnachrichten versendet wurden. Dieser Kollege führte am 19.09.2023 ein Gespräch mit einer Gewerkschaftssekretärin der Gewerkschaft V. Im Nachgang übersandte er dem Verfügungskläger Informationsmaterialen der Gewerkschaft zum Thema Betriebsratswahlen.
Am 27.10.2023 gab der Verfügungskläger eine öffentlich beglaubigte Erklärung (Bl. 41 f. der erstinstanzlichen Akte) folgenden Inhalts ab:
"Ich habe die Absicht an der Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsratswahl als sogenannter "Vorfeld-Initiator" mitzuwirken und vorab folgende Vorbereitungshandlung unternommen:
- Erwerb von Literatur zur Betriebsratsgründung
- Einholen von Beratung zur Betriebsratsgründung
- Absprache mit Kollegen im Betrieb über Mitwirkung
- Vorbereitung einer Einladung zu ersten Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands für die Betriebsratswahl"
Mit Schreiben vom 30.10.2023 (Bl. 44 f. der erstinstanzlichen Akte), kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.11.2023 und stellte den Verfügungskläger mit sofortiger Wirkung von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Ob die Verfügungsbeklagte zu diesem Zeitpunkt mehr als zehn Personen in Vollzeit beschäftigte, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Verfügungskläger erhob unter dem 02.11.2023 eine Kündigungsschutzklage gegen diese Kündigung und stellte dort einen Weiterbeschäftigungsantrag (Ar...