Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei der Stufenzuordnung nach dem TVöD (Bund)
Leitsatz (amtlich)
1. § 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD Bund i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 10 vom 01.04.2014 ist wegen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Freizügigkeitsgebot des Art. 45 AEUV sowie Art. 7 der "Wanderarbeitnehmer-Verordnung" (EUV Nr. 492/2011) teilweise nichtig, soweit lediglich Beschäftigungszeiten aus einem früheren Arbeitsverhältnis "zum Bund" für die Einstufung Berücksichtigung finden sollen.
2. (Anschluss an EuGH, Urteil vom 05.12.2013, C-514/12, "Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH")
3. Da die in Art. 7 Abs. 4 EUV Nr. 492/2011 ausdrücklich angeordnete Rechtsfolge der teilweisen Nichtigkeit der Norm für und gegen jedermann wirkt, kann sich auch ein klagender Arbeitnehmer hierauf berufen, der ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und seine Vorbeschäftigungszeit ausschließlich im Inland absolviert hat (entgegen LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.10.2015, 5 Sa 660/15 u. a.; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2016, 1 Sa 17/15; LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.02.2016, 6 Sa 421/15 E; alle jeweils zur teilweise parallelen Problematik des § 16 Abs. 2 TV-L).
Normenkette
TVöD § 16 Abs. 2; TV-L § 16 Abs. 2; AEUV Art. 45; EUVO 492/2011 Art. 7
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 15.12.2015; Aktenzeichen 12 Ca 4585/15) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.12.2015 zu Aktenzeichen12 Ca 4585/15 aufgehoben.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.602,51 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (16.07.2015) zu zahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus ihrem beendeten Arbeitsverhältnis, die aus unterschiedlichen Auffassungen zur Stufenzuordnung nach dem TVöD (Bund) aufgrund etwaiger Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten resultieren.
Die am 1983 geborene Klägerin hat im Jahr ihr Hochschulstudium zur Diplom-Erziehungswissenschaftlerin abgeschlossen. Alsdann war sie von Dezember 2009 bis Juni 2010 als pädagogische Fachkraft in einer offenen Ganztagsschule der evangelischen Jugendhilfe W tätig. Vom 01.07.2010 bis 14.11.2010 war sie als pädagogische Kraft in der von D und C betriebenen B in W beschäftigt. Alsdann war sie vom 15.11.2010 bis 14.11.2012 aufgrund eines befristeten Vertrages als Diplom-Pädagogin beim privaten Verein S e. V. in dessen Beratungsstelle in B K eingesetzt. Aufgabe des Vereins ist insbesondere die psychosoziale Erstberatung und ggf. auch längerfristige Beratung von Frauen mit Migrationshintergrund, die Opfer von Gewalt geworden sind. Aufgabe der Klägerin war insbesondere die telefonische und persönliche Erstberatung einschließlich der psychischen Stabilisierung der Klientinnen. Wegen der Einzelheiten dieser Tätigkeit wird auf das zur Gerichtsakte gereichte Arbeitszeugnis(Bl. 34 - 37 d. A.) Bezug genommen.
Nach Auslaufen des befristeten Vertrages mit dem S e. V. war die Klägerin zunächst arbeitslos.
Für den Zeitraum 01.04.2013 bis einschließlich 31.03.2015 begründete die Klägerin alsdann mit der hiesigen Beklagten ein befristetes Arbeitsverhältnis, das ebenfalls nicht verlängert wurde. Aufgrund Änderungs-Vereinbarung war sie hierbei ab dem 01.01.2015 teilzeitbeschäftigt mit einem Beschäftigungsanteil von 85 Prozent.
Der Einsatz der Klägerin erfolgte für das von der beklagten B D betriebene B für F und z A mit Sitz in K . Hierbei wurde die Klägerin als telefonische Beraterin für das Projekt "Bundesweites Hilfstelefon - Gewalt gegen Frauen" eingesetzt. Ihre Aufgabe bestand wiederum schwerpunktmäßig in der Krisenintervention und Erstberatung von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TVöD (Bund) Anwendung. Die Beklagte vergütete die Klägerin während des gesamten bestehenden Arbeitsverhältnisses nach Entgeltgruppe 9b, Stufe 2 TVöD. Die Entgeltdifferenz zur Entgeltgruppe 9b, Stufe 3 TVÖD würde für die Klägerin für den gesamten Zeitraum des letzten Jahres des Bestandes des Arbeitsverhältnisses (01.04.2014 bis 31.03.2015) einen Betrag von insgesamt 1.602,51 Euro ausmachen, nämlich neun Monate á 138,50 Euro monatlich für den Zeitraum April bis Dezember 2014 sowie für Januar und Februar 2015 jeweils 117,73 Euro (aufgrund der Arbeitszeitreduzierung) und letztlich für März 2015 nach Tariflohnerhöhung 120,55 Euro.
§ 16 TVöD (Bund) vom 13.09.2005 in der hier anwendbaren Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 10 vom 01.04.2014 enthält auszugsweise folgende Regelung:
"(1)
Die Entgeltgruppen 9 bis 15 umfassen fünf Stufen und die Entgeltgruppen 2 bis 8 sechs Stufen.
(2)
Bei Einstellung in eine der Entgeltgruppen 9 bis 15 werden die Beschäftigten zwinge...