Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Zuständigkeit. Luganer Übereinkommen. Außendienstmitarbeiter mit Home-Office

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine vor der Entstehung der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung entfaltet nach Art. 17 Abs. 5 LugÜ auch dann keine Wirkung, wenn ein Arbeitnehmer sie geltend macht, um ein anderes als das am Wohnsitz des Beklagten oder das in Art. 5 Nr. 1 LugÜ bezeichnete Gericht anzurufen. Es ist auch nicht entscheidend, ob die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung für den klagenden Arbeitnehmer objektiv von Vorteil ist oder nicht.

2. Die unter Art. 17 Abs. 5 LugÜ angeordnete Unwirksamkeit einer vorherigen Gerichtsstandsvereinbarung verbietet es, der klagenden Partei ein auf Vertrauensgesichtspunkte gestütztes Recht einzuräumen, doch an dem vereinbarten Gerichtsstand zu klagen. Ebenso verbietet es sich, eine tatsächlich nicht erfolgte rügelose Einlassung der beklagten Partei zu fingieren.

3. Bei der Bestimmung, wo ein in Belgien wohnender deutscher Außendienstmitarbeiter, der ausschließlich Kunden in Deutschland zu besuchen hat, und dem die Arbeitgeberin ein Büro in seiner Wohnung (Home-Office) eingerichtet hat, gewöhnlich seine Arbeit im Sinne von Art. 5 Nr. 1 LugÜ verrichtet, ist mangels anderer Kriterien auf den Ort abzustellen, an dem der Arbeitnehmer den größten Teil seiner Arbeitszeit leistet. Dabei ist die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Kundenbesuchen als eine einheitliche Tätigkeit anzusehen.

4. Lässt sich nach der Arbeitszeit weder der Wohnort in Belgien, an dem das Home-Office eingerichtet ist, noch einer der Besuchsorte in Deutschland als Hauptbezugsort bestimmen, so kann der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber wahlweise vor dem Gericht des Ortes der Niederlassung, die ihn eingestellt hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitgeber seinen Sitz hat (hier: Schweiz) verklagen.

 

Normenkette

Luganer Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) Art. 5, 17-18

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Urteil vom 15.03.2006; Aktenzeichen 6 Ca 1771/05)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 15. März 2006 – 6 Ca 1771/05 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und hierbei über die internationale Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Aachen bzw. eines anderen deutschen Arbeitsgerichts.

Der Kläger, geboren am 6. Januar 1969, ist bzw. war bei der Beklagten seit dem 1. März 2004 als Sales Development Manager Germanic Area beschäftigt zu einem Jahresgehalt in Höhe von EUR 58.000,00 brutto. Die Beklagte hat ihren Sitz in Lachen in der Schweiz.

In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien u. a. Folgendes:

„…Ziff. 6: Diese Vereinbarung wird in Deutschland (im Ausnahmefall in jedem anderen Land von BANDAG EHRD) als abgeschlossen und durchzuführen betrachtet.

Ziff. 18: Diese Vereinbarung wird in ihrer Gesamtheit in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Deutschland getroffen und unterliegt diesen Gesetzen. Gerichtsstand für diesen Arbeitsvertrag ist Deutschland…”

Die Beklagte vertreibt runderneute Reifen. Aufgabe des Klägers war es, Kunden der Beklagten in Deutschland zu betreuen und neue Kunden zu werben.

Der Kläger, dessen Wohnsitz in Eynatten schon vor Vertragsbeginn lag, hatte in seiner Wohnung ein sogenanntes Home-Office. Die Beklagte stellte ihm für seine dienstliche Tätigkeit in dem Home-Office Arbeitsmittel zur Verfügung, und zwar einen Computer mit Software, ein Faxgerät und einen Drucker. Zudem überließ sie ihm ein Mobiltelefon und erstattete die Telefonkosten, die durch die Benutzung des Festnetzanschlusses dem Kläger entstanden.

Bei seiner Tätigkeit suchte der Kläger von zuhause aus Kunden auf, die an verschiedenen Orten in Nord-, Süd- und Ostdeutschland ihren Standort haben. Sofern der Standort weit von zuhause entfernt war, übernachtete er dort in einem Hotel.

Mit Schreiben vom 5. April 2005 und vom 30. Mai 2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Mit der vorliegenden Klage, die am 18. April 2005 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangen ist, und mit der am 7. Juni 2005 dort eingegangenen Klageerweiterung wendet sich der Kläger gegen diese Kündigungen. Zudem verlangt er von der Beklagten, ihm eine Arbeits- und eine Urlaubsbescheinigung zu erteilen.

Der Kläger ist der Ansicht, für den vorliegenden Rechtsstreit seien die deutschen Arbeitsgerichte nach Art. 5 Ziff. 1 des Lugano Überreinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: LugÜ) zuständig. Etwaige Schwierigkeiten bei der Ermittlung des in Deutschland örtlich zuständigen Gerichts könnten nichts an dieser internationalen Zuständigkeit ände...

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