Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung des Zeitpunkts des Zugangs des Anhörungsschreibens zu einer Kündigung bei der Gesamtschwerbehindertenvertretung einer Stadtverwaltung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Behörde ist davon auszugehen, dass Bedienstete eingehende Schriftsätze nicht nur in der Kernarbeitszeit, sondern im Rahmen der allgemeinen Dienstzeiten zur Kenntnis nehmen können.
2. Geht das Anhörungsschreiben zu einer Kündigung an einem regulären Arbeitstag gegen 16:05 Uhr per ausgedruckten Telefax im Geschäftszimmer der Gesamtschwerbehindertenvertretung einer Stadtverwaltung ein, so ist es an diesem Tag im Rechtssinne zugegangen.
Normenkette
SGB IX § 178; BGB § 130
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 08.10.2021; Aktenzeichen 7 Ca 3167/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.10.2021 - 7 Ca 3167/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Pflicht zur Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses.
Der Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 15.11.2019 als Wächter auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 12.11.2019 (Bl. 5 f. d.A.) beschäftigt. Der Kläger ist behindert mit einem Grad von 40 und durch Bescheid der zuständigen Arbeitsagentur einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 23.04.2020 die Gleichstellungsbeauftragte, den Gesamtpersonalrat (GPR) sowie die Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) zu einer beabsichtigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers in der Probezeit an, weil der Kläger im persönlichen Leistungsbereich die Erwartungen nicht erfüllt habe (Bl. 49 ff. d. A.) Die an die GSBV gerichtete Anhörung ging am Donnerstag, den 30.04.2020, gegen 16:05 Uhr per Telefax (Papierfax) im Büro des Gremiums ein.
Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung zur gleitenden Arbeitszeit (DV GLAZ). In dieser ist ua. in § 4 Abs. 4 DV GLAZ geregelt, dass die Kernarbeitszeit für die Wochentage Montag bis Donnerstag zwischen 9:00 Uhr und 12:00 Uhr und von 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr liegt, freitags beginnt die Kernarbeitszeit um 9:00 Uhr und endet gegen 12:00 Uhr. In der Kernarbeitszeit besteht Anwesenheitspflicht. Dienststunden für Beschäftigte nach TVöD sind gemäß § 7 DV GLAZ donnerstags bis 16:25 Uhr und für Beamte bis 16:45 Uhr vorgesehen. Wegen der Einzelheiten der DV GLAZ wird auf Bl. 239 ff. d.A. Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 08.05.2020, dem Kläger am 12.05.2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2020.
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 08.10.2021 (Bl. 148 ff. d. A.) die Kündigungsschutzklage nach Beweisaufnahme zum Eingang des Anhörungsschreibens bei der GSBV abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Amtsleiter sei aufgrund seiner Stellung als Leiter des Personals und des Verwaltungsmanagements sowie der internen Unterschriftenregelung der Beklagten zur Unterzeichnung der Kündigung befugt gewesen. Der Kläger genieße aufgrund seiner Beschäftigungsdauer weder den allgemeinen Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes noch den besonderen Kündigungsschutz des SGB IX. Eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung sei nicht feststellbar, die Kündigung verstoße auch nicht gegen die guten Sitten iSd. § 138 BGB. Die Anhörungen der Gleichstellungsbeauftragten, des zuständigen GPR und der GSBV seien ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere sei die Wochenfrist zur Anhörung der GSBV durch die nach Beweisaufnahme festgestellte Übermittlung des Anhörungsschreibens am 30.04.2020 eingehalten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihm am 03.12.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.12.2021 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Der Kläger meint, der gewöhnliche Zugang der schriftlichen Anhörung bei der Schwerbehindertenvertretung richte sich nach den Kernarbeitszeiten, nach 15:00 Uhr könne ein Zugang bei der Schwerbehindertenvertretung am selben Tag nicht mehr bewirkt werden. Folglich sei das Anhörungsschreiben erst am 04.05.2020 der GSBV zugegangen, die Wochenfrist zur Stellungnahme sei nicht gewahrt. Außerhalb der Kernarbeitszeit bestehe keine Anwesenheitspflicht. Zudem sei zweifelhaft, ob auf den Eingang des Telefax abzustellen sei, da die Schwerbehindertenvertretung über einen eigenen elektronischen Zugang verfüge.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- das Urteil des Arbeitsgerichts Köln, verkündet am 08.10.2021, Aktenzeichen 7 Ca 3167/20, abzuändern;
das Urteil wie folgt neu zu fassen:
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.05.2020, dem Kläger zugegangen am 12.05.2020, nicht zum 31.05.2020 a...