Entscheidungsstichwort (Thema)

Lauf der Kündigungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB bei zugesicherter Vertraulichkeit der Angaben der Geschädigten

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Vertraulichkeitsvereinbarung in einer Betriebsvereinbarung vermag die Kenntnis des zur Kündigung Berechtigten i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB nicht zeitlich zu verlagern.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2; KSchG § 15; BetrVG § 103

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 09.01.2018; Aktenzeichen 4 BV 2/17)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 27.06.2019; Aktenzeichen 2 ABR 2/19)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerden des Beteiligten zu 2 und des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund zum Aktenzeichen 4 BV 2/17 vom 09.01.2018 abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über eine Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung wegen Übersendung pornografischer Videoclips an eine Arbeits- sowie Betriebsratskollegin.

Der antragstellende Arbeitgeber, der Beteiligte zu 1.) betreibt in S. ein Unternehmen, das mit 200 Arbeitnehmern Kartoffelprodukte herstellt. Dort ist ein neunköpfiger Betriebsrat gebildet.

Der Beteiligte zu 3) ist am 15.02.1971 geboren, verheiratet und einem Kind unterhaltsverpflichtet. Seit dem 01.08.1996 ist er im Betrieb beschäftigt. Als Systembetreuer und Mitarbeiter MIS in der Produktionsabteilung bezieht er eine monatliche Vergütung von durchschnittlich 4.320,00 Euro brutto. Seit 2014 ist er Vorsitzender des örtlichen Betriebsrates (ohne Freistellung nach § 38 BetrVG) und Mitglied des Konzernbetriebsrates.

Bei der Beteiligten zu 1) wurde eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Schutz der Beschäftigten vor Diskriminierung am 8. März 2016 geschlossen. Diese enthält im Wesentlichen folgende Regelungen:

"§ 2 Kontaktaufnahme und Hilfestellungen

(1) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die sich einer unerwünschten, belästigenden oder gar diskriminierenden Situation ausgesetzt sehen, können sich vertraulich an die folgenden Stellen oder Personen wenden:

- ein Betriebsratsmitglied seiner Wahl,

- die externe Mitarbeiterberatung (sog. Employee Assistance Programme, zur Zeit durch den Anbieter Workplace Options gewährleistet),

- sonstige externe Personen wie ein Arzt/eine Ärztin, ein Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin, ein Psychologe/eine Psychologin o. a.

Darüber hinaus kann auch zu den folgenden Personen oder Institutionen Kontakt aufgenommen werden, wobei diese verpflichtet sind, das Geschilderte als möglichen Verstoß gegen den Code of Business Principles zu melden:

- der oder die Vorgesetzte,

- die Personalabteilung,

- die Code Support Hotline ("Ethik Hotline") - telefonisch oder im Intranet,

- den Business Integrity Officer oder

- eine beliebige Vertrauensperson im Unternehmen oder im Betrieb.

Bei Kontaktaufnahme mit den zuletzt Genannten wird automatisch der Prozess einer weiteren Prüfung in Gang gesetzt. Hinsichtlich der Code Support Hotline ("Ethik Hotline") wird dieser Prozess auch dann begonnen, wenn der eigene Name nicht genannt wird, sondern der Anruf anonym bleibt.

(2) Hilfe oder Rat Suchende können ihren Ansprechpartner frei wählen. Dies soll die Möglichkeit eröffnen, zunächst die Situation mit einer anderen Person oder Institution zu besprechen und das Geschehene und Empfundene gemeinsam zu bewerten, bevor sich der oder die Betroffene gegebenenfalls zu weiteren Schritten entschließt, z.B. zur Meldung des Vorfalls als möglichen Verstoß gegen den Code of Business Principles.

(3) Alle weiteren von den Betroffenen unternommenen Schritte können weiterhin durch die genannten Ansprechpartner begleitet werden, wenn der oder die Betroffene dies wünscht.

§ 3 Vertraulichkeit und rasche Hilfe

(1) Alle Betroffenen genießen dauerhaft vertrauliche Behandlung sowie persönlichen Schutz während des gesamten Prozesses.

(2) Die oben genannten Stellen oder Personen sind zur Verschwiegenheit über die ihnen gegenüber offenbarten Sachverhalte verpflichtet, solange und soweit der oder die Betroffene sie nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbindet. Darüber hinaus sind die oben genannten Stellen und Personen verpflichtet, das ihnen geschilderte Anliegen erst zu nehmen und so zeitnah wie möglich hierauf zu reagieren."

Der Beteiligte zu 3) und die Betriebsratskollegin E. Z. teilen sich ein Büro. Frau Z. ist seit dem 01.07.1978 im Betrieb beschäftigt und gehört seit 1990 ununterbrochen dem Betriebsrat an.

Von Frau Z. wurde eine WhatsApp-Gruppe "Betriebsrat" für Betriebsratsmitglieder (mit deren privaten Mobilnummern) eingerichtet, in die der Betriebsratsvorsitzende Anfang 2016 aufgenommen wurde. In der WhatsApp-Gruppe wurden wiederholt Daten mit sexualisiertem Inhalt ausgetauscht (vgl. Beispiele aus dem Chat-Verlauf vom 02.10.2016, Blatt 298 bis 300 der Akte).

Ab dem 21.10.2016 schickte der Beteiligte zu 3.) seiner Kollegin per WhatsApp Nachrichten, denen zunächst eher lustige Bilder und Videoclips beigefügt waren. Nach ca. 10 Tagen enthielten seine Nachrichten auch zweideutige Bilder. Ab 11.11.2016 sandte ...

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