Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungszahlung aus Gründen einer Benachteiligung eines Bewerbers wegen der Schwerbehinderung bzgl. der Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch
Leitsatz (redaktionell)
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Das gilt auch für einen Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 24.11.2022; Aktenzeichen 13 Ca 149/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 24.11.2022 - 13 Ca 149/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung aus Gründen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung, anknüpfend an die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
Der im November 1987 geborene Kläger beendete seine Schulausbildung im Juli 2007 mit dem Abitur in der Fachrichtung Informations- und Kommunikationstechnologie. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes nahm er am 01.09.2008 eine Laufbahnausbildung im gehobenen Dienst der Bundespolizei auf. Im August 2011 bestand er die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes in der Bundespolizei mit der Note "befriedigend" und erwarb den akademischen Grad "Diplom-Verwaltungswirt (FH)". Anschließend war er bis zum 13.05.2012 als Polizeikommissar bei der Bundespolizei Inspektion Flughafen M-Stadt tätig. Vom 14.05.2012 bis zum 31.12.2012 arbeitete er im Straßenverkehrsamt des Landkreises Z-Stadt als Sachbearbeiter Großraum-/Schwerverkehr. Am 01.10.2012 nahm er an der Universität Kassel, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, ein Studium zum Master of Public Administration auf. Vom 01.01.2013 bis zum 30.06.2014 war der Kläger als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten beim Vogtlandkreis beschäftigt. Dem folgten ab 01.07.2014 mehrere befristete Beschäftigungen bei der Stadt Z-Stadt, zunächst als Organisator, später als Leiter des Bürgerbüros und schließlich als Wirtschaftsförderer. Im Mai 2015 bestand der Kläger die Masterprüfung zum Master of Public Administration. Ab Februar 2018 arbeitete er in wechselnden Aufgabenbereichen bei einem privaten Sicherheitsunternehmen.
Das beklagte Amt, das rund 30 Mitarbeiter/innen beschäftigt, schrieb am 07.04.2020 über das Portal "Interamt.de" den zum 01.09.2020 zu besetzenden Dienstposten "Amtsleitung für Zentrale Dienste und Finanzen (m/w/d)" mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TVöD-VKA aus. Die Bewerbungsfrist lief bis Freitag, 08.05.2020. Auf diese Stelle bewarb sich der Kläger, bei dem zu diesem Zeitpunkt eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 festgestellt war, mit dem per E-Mail übersandten Schreiben vom 11.05.2020, das mit Anlagen insgesamt 56 Seiten umfasste. In dem Bewerbungsanschreiben heißt es im letzten Absatz:
"...
Den von Ihnen dargestellten Aufgaben bin ich gewachsen und würde mich freuen, sie bewältigen zu dürfen. Meine Eigenschaft als Schwerbehinderter hat keinen Einfluss auf meine Arbeitsleistung bei dieser Stelle. Auf eine persönliche Vorstellung freue ich mich sehr und verbleibe,
mit freundlichen Grüßen
..."
Die E-Mail ging bei der zuständigen Personalsachbearbeiterin, Frau H., am Montag, 11.05.2020, um 06: 29 Uhr ein. Die Personalsachbearbeiterin leitete die E-Mail um 08: 48 Uhr an den Leitenden Verwaltungsbeamten weiter. Dieser druckte die E-Mail aus und vermerkte darauf handschriftlich "verfristet!". Er wies die Personalleiterin an, dem Kläger eine Absage zu erteilen. Eine Schwerbehindertenvertretung existiert bei dem Beklagten nicht.
Mit E-Mail vom 22.11.2020 erkundigte sich der Kläger nach dem Stand des Bewerbungsverfahrens. Der Beklagte antwortete darauf mit E-Mail vom 26.11.2020 und verwies auf die schriftliche Absage mit Datum vom 15.05.2020.
Mit Schreiben vom 24.01.2021 forderte der Kläger von dem Beklagten eine Entschädigung in Höhe des geschätzten Gehaltes für drei Monate, nämlich € 11.568,33. Aktuell ist der Kläger bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Raum A-Stadt tätig und dort wohnhaft.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass der Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Ein öffentlicher Arbeitgeber sei nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, einen schwerbehinderten Bewerber, sofern er nicht offensichtlich ungeeignet sei, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das habe der Beklagte versäumt. Die geringfügige Überschreitung der Bewerbungsfrist sei unerheblich. Zu Beginn des ersten Arbeitstages nach Ablauf der Bewerbungsfrist sei das Bewerbungsverfahren no...