Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung. Erwerbsminderungsrente. leidensgerechter Arbeitsplatz. Verhältnismäßigkeit. Personenbedingte Kündigung wegen krankheitsbedingter Ausfallzeiten während des Bezugs einer befristeten Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung. Krankheitsbedingte Kündigung eines Dezernenten für Kriminalstatistik im Landeskriminalamt während des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente
Leitsatz (amtlich)
1. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BAGE 91, 271= AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = DB 1999, 1861; BAG 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Eine konkrete Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen braucht daher im Rechtsstreit durch den Arbeitgeber nicht vorgetragen werden. Die Ungewissheit bezüglich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer feststehenden krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten ab dem Tag der Kündigung mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (BAG 29. April 1999 aaO.).
2. Die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagments (BEM) nach § 84 Absatz 2 SGB IX ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Solange allerdings nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Durchführung des BEM ein positives Ergebnis gebracht hätte, darf sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze für den gekündigten Arbeitnehmer. Er hat vielmehr von sich aus alle ihm zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze darauf zu prüfen, ob sie sofort oder nach zumutbaren Organisationsmaßnahmen als leidensgerechte Arbeitsplätze für den erkrankten Arbeitnehmer in Betracht kommen und muss im Einzelnen darlegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden. Dies geht über die Darlegungslast des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen hinaus. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10; BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - sowie - 2 AZR 198/09; BAG 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06; ArbG Rostock 31. August 2011 - 5 Ca 1539/10).
3. Es ist nicht verboten, einem Arbeitnehmer während des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente krankheitsbedingt zu kündigen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 1998 ausdrücklich betont, dass der Bezug einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente einer Kündigung nicht entgegen steht (2 AZR 773/97 - BAGE 90, 230 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = DB 1999, 589). Diese Rechtsprechung ist ohne weiteres auf das heute maßgebliche Recht der Erwerbsminderungsrente (§ 43 SGB VI) übertragbar.
Normenkette
KSchG § 1; SGB IX § 84; SGB VI § 43; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1; GewO § 106 S. 1; SGB IX § 84 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 16.11.2011; Aktenzeichen 2 Ca 1288/08) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung wegen der krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers.
Der 1952 geborene Kläger ist seit Mai 1993 beim beklagten Land beschäftigt. Er war bis in das Jahr 2005 dem Landeskriminalamt mit Sitz in der Nähe von C-Stadt als vollzeitbeschäftigter Angestellter zugewiesen gewesen. Im Landeskriminalamt war der Kläger als Dezernent und stellvertretender Dezernatsleiter für die Bereiche Kriminalitätsanalyse, Kriminalstrategie, Kriminalitätsprävention und Kriminalstatistik zuständig sowie im Bereich der kriminologischen Forschung tätig. Die Vergütung erfolgte nach der Vergütungsgruppe IIa der Vergütungsordnung zum BAT/BAT-O mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt rund 3.700,00 Euro.
In seiner Funktion war der Kläger auch für die polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) zuständig. Auf diesem Gebiet kam es seit den Jahren 1999 und 2000 zu Differenzen auf fachlicher Ebene zwischen dem Kläger, dem Landeskriminalamt sowie dem für diesen Bereich zuständigen Fachvorgesetzten im Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern, der zum Teil auch unter Einbeziehung des Landtages und der Presse ausgetragen wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Konflikts wird auf das Urteil der Kammer im Vorprozess Bezug genommen, in dem der Kläger Entschädigung und Schadensersatz wegen Mobbing und Gesundheitsbeschädigung verlangt hatte (LAG Mecklenburg-Vorpommern 5. Juli 2...