Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der Ablehnung durch den Arbeitgeber i.S. von § 15 Abs. 4 S. 2 AGG. Einhaltung der Frist für die Erhebung einer Klage auf Entschädigung wegen einer Diskriminierung wegen Schwerbehinderung bei der Besetzung einer Stelle
Leitsatz (amtlich)
1. Primärrechtsschutz hat Vorrang vor Sekundärrechtsschutz. Ein Bewerber verfügt nicht über ein Wahlrecht zwischen alsbaldigem Primärrechtsschutz gegen eine zur Stellenbesetzung durch den öffentlichen Arbeitgeber getroffene Entscheidung und einem späteren Schadensersatzbegehren.
2. Eine "Ablehnung durch den Arbeitgeber" i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten, aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hat.
3. Da für die Ablehnung i.S.v. § 15 Abs. 4 AGG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist, muss sie weder schriftlich noch sonst verkörpert erfolgen und kann deshalb auch mündlich erklärt werden.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; BGB § 823 Abs. 2, § 839 Abs. 3, § 254; AGG § 15 Abs. 2, 4
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 20.11.2019; Aktenzeichen 3 Ca 170/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 20.11.2019 zum Aktenzeichen 3 Ca 170/19 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Nichtberücksichtigung des Klägers bei einer Stellenbesetzung.
Der im August 1978 geborene, verheiratete Kläger hat mit seiner Familie (Ehefrau, 2 Kinder, geboren 2007 und 2012) einen Wohnsitz in A-Stadt und ist seit Januar 2015 am Universitätsklinikum in L., wo er einen weiteren Wohnsitz unterhält, als Lagerungspfleger beschäftigt. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 40 einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Unter Übersendung des Gleichstellungsbescheides bewarb sich der Kläger mit Schreiben vom 16.11.2017 auf die von der Beklagten unter Kennziffer 17/R/14 ausgeschriebene, ab Februar 2018 zu besetzende Stelle als Lagerungsassistent.
Mit Email vom 12.01.2018 erteilt die Beklagte dem Kläger im Bewerbungsverfahren eine Absage.
Am 29.03.2019 ging der Beklagten das Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 14.03.2019 zu, mit welchem der Kläger Schadensersatzansprüche wegen Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung geltend gemacht hat. Unter Hinweis auf § 15 Abs. 4 AGG wies die Beklagte mit Schreiben vom 10.04.2019 Ansprüche ab.
Mit am 12.06.2019 bei Gericht eingegangener - der Beklagten am 19.06.2019 zugestellter - Klage verfolgt der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter. Er geht davon aus, dass die Beklagte ihm einen finanziellen Schaden wegen einer Vergütungsdifferenz zwischen dem von ihm erzielten und dem für die ausgeschriebene Stelle vorgesehenen Einkommen für den Zeitraum Februar 2018 bis 17. Juni 2018 in Höhe von 3.391,75 Euro brutto zu erstatten habe sowie Kosten für die Anmietung der Wohnung in L. für den Zeitraum von Februar 2018 bis Mai 2019 in Höhe von 6.805,00 Euro, für eine Hausratsversicherung in Höhe von 66,69 Euro, für einen Mobilfunkvertrag in Höhe von 400,00 Euro, für eine Haushaltshilfe in Höhe von 2.400,00 Euro, für Fahrten in Höhe von 10.476,00 Euro, insgesamt 20.147,69 Euro.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie ihn als bestgeeignetsten Bewerber nicht für die ausgeschriebene Stelle eingestellt habe. § 15 Abs. 4 AGG komme nicht zur Anwendung, weil er seine Klage nicht auf eine Benachteiligung wegen Behinderung stütze.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 20.147,69 Euro sowie 3.391,75 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus der Nichtberücksichtigung der Bewerbung des Klägers vom 16.11.2017 als Lagerungsassistent der Ausschreibung mit der Kennziffer 17/R/14 resultieren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat klägerische Schadensersatzansprüche unter Hinweis auf die Frist gemäß § 15 Abs. 4 AGG geleugnet und die Auffassung vertreten, die Frist gelte für alle Ansprüche, die auf denselben Lebenssachverhalt gestützt würden. Ein Schadensersatzanspruch sei nach § 839 Abs. 3 BGB zudem ausgeschlossen, weil der Kläger es zumindest fahrlässig unterlassen habe, Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger der bestqualifizierteste Bewerber sei.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 20.11.2019 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klag...