Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz der Bestenauslese in Art. 33 Abs. 2 GG. Effektiver Rechtsschutz des Bewerbers bei unberechtigter Nichtberücksichtigung. Eilverfahren zur Fortführung eines abgebrochenen Auswahlverfahrens im öffentlichen Dienst. Einmonatige Frist zum Antrag auf Wiederaufnahme des abgebrochenen Auswahlverfahrens. Stellenbesetzungsanspruch als Primäranspruch vor etwaigem Schadensersatzanspruch (Sekundäranspruch). Rechtsschutz des Bewerbers bei rechtswidrig abgebrochenem Auswahlverfahren. Entscheidungshoheit des öffentlichen Arbeitgebers über eine Stellenbesetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf Fortsetzung eines abgebrochenen Auswahlverfahrens kann allein im Wege eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens, erreicht werden. Ein entsprechendes Hauptsacheverfahren ist ausgeschlossen.
2. Stellt ein Bewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, darf der Dienstherr nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (BAG, Urteil vom 12.12.2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 41, BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 - 2 A 3/13 - Rn. 24, juris) darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung verfolgt.
3. Durch einen rechtswidrigen Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens wird eine Stellenbesetzung nicht unmöglich. Der Schadensersatzanspruch entsteht als Sekundäranspruch erst dann, wenn der Bewerbungsverfahrensanspruch erloschen ist und der Bewerber damit nicht mehr verlangen kann, auf die ausgeschriebene Stelle gesetzt zu werden (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 2 C 6/11 - Rn. 12, juris).
4. Ist der Abbruch des Auswahlverfahrens rechtswidrig erfolgt, wird damit - jedenfalls solange der Abbruch nicht rechtsbeständig ist - der grundrechtsgleiche Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt. Dem einzelnen Bewerber steht die prozessuale Möglichkeit offen, die Maßnahme einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Es ist sogar dessen Obliegenheit, Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BAG, Urteil vom 27.07.2021 - 9 AZR 326/20 - Rn. 25, juris).
5. Der öffentliche Arbeitgeber entscheidet in Ausübung seiner Organisationsgewalt und nach seinen Bedürfnissen, ob, in welcher Gestalt und zu welchem Zeitpunkt eine Stelle besetzt werden soll. Die organisatorische Entscheidungshoheit des öffentlichen Arbeitgebers über die zeitliche Dimension der Stellenbesetzung wird - abgesehen von Missbrauchsfällen - nicht durch subjektive Rechtspositionen des Bewerbers eingeschränkt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistete Grundsatz der Bestenauslese dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes. Zum anderen trägt die Verfassungsnorm dem berechtigten Interesse der Bediensteten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen Rechnung.
2. Effektiver Rechtsschutz gegen die unberechtigte Nichtberücksichtigung der Bewerbung kann im Wege einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO erwirkt werden, indem der Bewerber die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens unter Einbeziehung seiner Person in den bestehenden Bewerberkreis verlangt. Der Verfügungsgrund für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ergibt sich aus dem Rechtsschutzbegehren, das auf eine sofortige Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers gerichtet ist.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; BGB § 839 Abs. 3, § 254; ZPO § 935; BGB §§ 280, 823 Abs. 2, § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; VwGO § 123
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 09.08.2022; Aktenzeichen 6 Ca 445/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird die Entscheidung des Arbeitsgerichts Schwerin vom 09.08.2022 zum Aktenzeichen 6 Ca 445/22 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Fortsetzung eines Stellenbesetzungsverfahrens sowie Schadensersatz wegen unterlassener Stellenübertragung.
Der im März 1958 geborene Kläger erwarb im Januar 1991 die Lehrbefähigung für Gymnasien in den Fächern Sport und Englisch. Nachdem er bereits als Lehrer befristet für das beklagte Land tätig gewesen war, schlossen die Parteien für das zum 09.08.2021 begründete Arbeitsverhältnis einen Aufhebungsvertrag, nach welchem das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2021 aufgehoben wurde. Der Kläger bewarb sich auf die im Januar 2022 erfolgte Stellenausschreibung 04_75535851_12860, nach welcher eine Stelle am Gymnasium in G-Stadt im Fach Englisch mit einer Eingruppierung in die Entgeltgruppe 13 TV-L zum 22.03.2022 besetzt werden sollte. Für den Kläger würde sich hieraus eine Vergütung in Höhe von 4.619,20 € brutto ergeben.
Nachdem sich die Schulleiterin des betreffenden Gymnasiums zunächst gegenüber dem Kläger erfreut...