Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung einer Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin wegen unzureichender Krankenbetreuung bei langjährigem Arbeitsverhältnis unter schwierigen Bedingungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nehmen Pflichtverletzungen einer Stationsschwester im Umgang mit Kranken für sich genommen und auch in ihrer Gesamtheit durchaus den Charakter eines wichtigen Grundes an, ist gleichwohl vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn die Arbeitnehmerin seit achtundzwanzig Jahren im Betrieb beschäftigt ist und sich die Pflichtverletzungen in einem schwierigen Umfeld ereignen.

2. Die Arbeit auf einer Intensivstation ist für ärztlich und pflegerisch Beschäftigte besonders belastend, so dass es als nahezu menschenunmöglich erscheint, über Jahre hinweg eine gleichbleibende liebevolle Fürsorge gegenüber Kranken zu leisten, insbesondere wenn eine Unterschreitung des Pflegeschlüssels nicht ausgeschlossen erscheint.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; BGB § 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 29.01.2014; Aktenzeichen 3 Ca 526/13)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Dem liegt ausweislich des klagestattgebenden Urteils des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 29.01.2014 - 3 Ca 526/13 - folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die am 10.08.1964 geborene Klägerin steht seit dem 01. September 1984 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten. Sie ist zuletzt als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.050,00 EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer, es besteht ein Personalrat.

Auf der Intensivstation kommen auf eine Schwester/einen Pfleger jeweils drei Patienten. Der Nachtdienst beginnt um 22:00 Uhr, bis etwa 22:30 Uhr erfolgt die Übergabe durch den Spätdienst. Die Dienstübergabe auf den Frühdienst erfolgt zwischen 06:00 Uhr und 06:30 Uhr. Gegen 23:00 Uhr erfolgt die Medikamentengabe und in diesem Zusammenhang das Spülen von Darmrohren.

Mit Schreiben vom 01.09.2011 hatte die Beklagte die Klägerin abgemahnt (Anlage B 11 Blatt 52 d. A.). Der Klägerin wurde vorgehalten, einen leitenden Pfleger beschuldigt zu haben, den Tod eines Patienten verursacht zu haben.

Im April 2013 war auf der Intensivstation eine an Leukämie erkrankte Patientin in stationärer Behandlung. Mit Schreiben vom 28.04.2013 beschwerte sich die Mutter der Patientin über die Klägerin (Anlage B 1 Blatt 30 d. A.). Sie teilte mit, dass die Patientin seit dem Aufenthalt auf der Intensivstation unter Albträumen leide und dabei ständig von der "Krankenschwester mit den roten Haaren" träume. Daraufhin fand ein Gespräch zwischen den Eltern der Patientin und Prof. H. statt. Gegenüber der Klägerin hatte sich die Patientin zu keinem Zeitpunkt über die Behandlung oder den Service beschwert und dieser auch nicht mitgeteilt, dass sie Angst vermittle.

Am 10.05.2013 erhielt der Personaldezernent Kenntnis über seitens der Eltern der Patientin erhobene Vorwürfe. Es fand ein Gespräch statt, an welchem die Eltern der Patientin, der Personaldezernent, die Pflegedienstleiterin, die stellvertretende Pflegedirektorin, eine Protokollführerin und ein Personalratsmitglied teilnahmen.

Am 10.06.2013 fand ein Gespräch mit der Klägerin statt. Die Patientin war zwischenzeitlich verstorben. Es wurde das Protokoll über das Gespräch am 10.05.2013 verlesen, die Klägerin wurde gebeten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen (Gesprächsprotokoll, Anlage B 3 Blatt 33 - 35 d. A.).

Mit Schreiben vom 18.06.2013 (Anlage B 13 Blatt 55 - 57 d. A.) wurde der Personalrat über die beabsichtigte außerordentliche und fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Klägerin angehört. Mit Schreiben vom 20.06.2013 (Anlage B 14 Blatt 58 d. A.) teilte dieser mit, dass er die Abkürzung der Frist zur Stellungnahme ablehne und noch Zeit benötige, sich mit dem Sachverhalt zu befassen. Mit Schreiben vom 26.06.2013 verweigerte der Personalrat die Zustimmung.

Mit Schreiben vom 04.07.2013 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst möglichen Zeitpunkt, d.h. dem 31.03.2014.

Mit ihrer am 05.07.2013 vorab per Fax bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Sie hält die Kündigung mangels Vorliegens einer Pflichtverletzung für unwirksam und sozial ungerechtfertigt. Sie bestreitet die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB sowie die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats.

An die Patientin könne sie sich nur schemenhaft erinnern, und dies auch nur, weil sie eine der wenigen Wachpatienten war. Die Patientin habe neben der Diagnose Leukämie an einer Schizophrenie gelitten. Alle von ihr betreuten Patienten würden grundsätzlic...

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