Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit von unterschiedlichen Zuschlaghöhen bei sachlichem Grund. Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Unterscheidung von Nachtzuschlägen innerhalb und außerhalb von Nachtschichten. Einschätzungsspielraum der Tarifparteien bei Regelung zum Ausgleich von Nachteilen der Nachtarbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Festlegung unterschiedlich hoher Zuschläge für Nacharbeit, die außerhalb von Schichten erbracht wird (50 %), und Schichtarbeit, die während der Nachtzeit geleistet wird (25 %), im Manteltarifvertrag der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg Vorpommern vom 02.06.2009 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
2. Es besteht ein sachlicher Grund für diese Differenzierung, so dass die Tarifvertragsparteien den ihnen bei ihrer Normsetzung zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten haben.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; ArbZG § 6 Abs. 5; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 05.02.2020; Aktenzeichen 11 Ca 272/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - vom 05.02.2020 zum Aktenzeichen 11 Ca 272/19 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifliche Zuschläge für nachts im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 02.06.2009 (im Folgenden: MTV).
Der Kläger ist bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter in deren Betrieb in S., in welchem Kartoffelprodukte und Snackpots hergestellt werden, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der MTV Anwendung. Dieser lautet Auszugsweise:
"...
§ 3 Arbeitszeit
(3) Zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeit
a) ...
b) In Betrieben, in denen im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System gearbeitet wird, muss den Arbeitnehmern, die aus betrieblichen Gründen wegen des Fortgangs der Arbeitszeit die festgesetzten Pausenzeiten nicht wahrnehmen können, eine be zahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit gewährt werden.
§ 4 Schichtfreizeit
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.
Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 60 geleistete Spätschichten eine Freischicht.
Wechselschichtarbeit liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und die Spätschicht mindestens bis 22 Uhr dauert.
§ 5 Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
(1) Begriffsbestimmung
Zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 MTV) hinausgehende Arbeitszeit.
....
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr geleistete Arbeit.
....
(2) Zuschläge
Für Mehr-, Nacht-, Schichtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
- Mehrarbeit (§ 5 Abs. 1 MTV) |
25 Prozent |
- Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit |
50Prozent |
- Schichtarbeit während der Nachtzeit (22 Uhr - 6 Uhr) |
25 Prozent |
- Sonntagsarbeit |
50 Prozent |
- Arbeit an gesetzlichen Feiertagen |
160 Prozent |
(3) Berechnung der Zuschläge
...
Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen. Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb eines Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsels, dieser tritt jeweils zu den anderen Zuschlägen hinzu. ...
§ 12
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Frist von drei Monaten seit ihrer Entstehung schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Nach Ablauf der Frist ist die Geltendmachung von Ansprüchen ausgeschlossen.
Die Ausschlussfrist für Ansprüche aus diesem Tarifvertrag läuft nur, wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag an geeigneter Stelle im Betrieb bekannt gemacht hat (§ 8 TVG)."
Mit der Beklagten am 14.08.2019 zugestellter Klage macht der Kläger Differenzzuschläge in Höhe von 25 Prozent wegen Nachtarbeit für den Zeitraum Januar 2019 bis April 2019 geltend mit der Begründung, nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 zum Aktenzeichen 10 AZR 34/17 sei eine unterschiedlich hohe Vergütung von Nachtarbeit gleichheitswidrig, weil Nachtarbeit innerhalb von Schichtarbeit und außerhalb von Schichtarbeit grundsätzlich gesundheitsschädlich sei und eine Differenzierung keine Rechtfertigung finde. Infolge Unwirksamkeit der gleichheitswidrigen tariflichen Regelung sei der höhere Zuschlag zu zahlen. Deshalb habe die Beklagte zu den bisherigen Zahlungen von 25 Prozent weitere 25 Prozent zu entrichten. Für Januar 2019 handele es sich für 32 Stunden um 119,76 €, für Februar 2019 für 56 Stunden um 209,58 €, für März 2019 für 40 Stunden um 154,50 €, für April 2019 für 64 Stunden um 247,20 €.
Der Kläger...