Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung. Auflösungsantrag. Geheimnisverrat. Dienstgeheimnis. Beschlussvorlage. Amtsausschuss. Personalrat. Zustimmung. Abmahnung. Verhaltensbedingte Kündigung und Personalrat. Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung einer Verwaltungsangestellten bei unterlassener Beteiligung des Personalrats in der Sitzung des kommunalen Haupt- und Finanzausschusses
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 82 Absatz 1 Landespersonalvertretungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LPersVG MV) ist die Beteiligung des Personalrats im Rahmen der Mitbestimmung oder Mitwirkung nach den §§ 62 ff LPersVG MV ausgeschlossen, wenn beteiligungspflichtige Maßnahmen (§§ 68 bis 70 LPersVG MV) der Entscheidung der Gemeindevertretung, des Amtsausschusses, des Kreistages, der Verbandsversammlung oder vergleichbarer Organe oder deren Ausschüsse unterliegen. Statt des regulären Beteiligungsverfahrens wird der Personalrat in diesen Fällen von der Dienststelle vor der Sitzung des Entscheidungsgremiums über die beabsichtigte Maßnahme unterrichtet und der Vorsitzende des Personalrats, bzw. das zuständige Gruppenmitglied des Vorstandes des Personalrats, hat dann in dem Entscheidungsgremium ein Teilnahme- und Rederecht (§ 82 Absatz 1 LPersVG MV).
2. Die ordentliche Kündigung unterliegt nach dem Landespersonalvertretungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern der Beteiligungsform der Mitbestimmung im Sinne von § 62 LPersVG MV (wie BAG 23. Juni 2009 -2 AZR 532/08 - AP Nr. 2 zu § 68 LPVG Mecklenb.-Vorpommern = NZA-RR 2009, 622 = PersR 2009, 447 = PersV 2010, 36).
3. Der öffentliche Arbeitgeber ist auch dann nicht berechtigt, eine Kündigung ohne eine Zustimmung des Personalrats auszusprechen, wenn der Personalrat zu erkennen gegeben hat, dass er sich abschließend zu der Angelegenheit geäußert hat. In der Mitteilung des Personalratsvorsitzenden, der Personalrat werde sich zum Antrag auf Zustimmung zur Kündigung nicht weiter äußern, mit einer weiteren Stellungnahme sei nicht zu rechnen, liegt keine Zustimmung im Sinne des § 62 Absatz LPersVG. Eine solche Erklärung bewirkt auch keinen vorzeitigen Eintritt der Zustimmungsfiktion (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 50/09 - AP Nr. 162 zu § 102 BetrVG = PersR 2010, 305 zum insoweit vergleichbaren niedersächsischen Landespersonalvertretungsgesetz). Die gelegentlich zu beobachtende Praxis, nach der sich die Dienststelle nach einer abschließenden Stellungnahme des Personalrats für berechtigt hält, die Kündigung auszusprechen, ist der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG entlehnt. Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht auf das Beteiligungsrecht der Mitbestimmung nach dem Landespersonalvertretungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern übertragbar.
4. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung sozial nicht gerechtfertigt (§ 1 Absatz 2 KSchG), wenn es mildere Mittel gibt, eine ähnliche Vertragsstörung zukünftig zu vermeiden. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 323 Absatz 2 BGB seit 2002 eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - BAGE 134, 349 = AP Nr. 229 zu § 626 BGB = DB 2010, 2395 = NJW 2011, 167; BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 aaO.; BAG Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; BAG 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - AP Nr. 20 zu § 174 BGB).
5. Dem Arbeitgeber steht das Recht, auf die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG anzutragen, nur zu, wenn die Kündigung ausschließlich wegen ihrer fehlenden sozialen Rechtfertigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Ist sie auch noch aus anderen Gründen unwirksam, kommt eine gerichtliche Auflösung nicht in Betracht (vgl. nur BAG 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - BAGE 127, 329 = AP Nr. 62 zu § 9 KSchG 1969 = DB 2009, 630). Ist die Kündigung auch nach § 68 Absatz 7 LPersVG unwirksam, ist das Recht des Arbeitgebers ausgeschlossen, einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG zu stellen.
Normenkette
KSchG §§ 1, 9; BGB § 314; BetrVG § 102; LPersvG § 82; LPersVG MV § 62; LPersVG MV § 68; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 314 Abs. 2, § 323 Abs. 2, § 611 Abs. 1; LPersVG MV § 62 Abs. 2 S. 3; LPersVG MV § 62 Abs. 2 S. 4; LPersVG MV § 68 Abs. 1 Nr. 2; LPersVG MV § 68 Abs. 7; LPersVG MV § 82 Abs. 1; KommunalVerf MV § 134 Abs. 1 S. 1, § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 03.11.2011; Aktenzeichen 1 Ca 1110/11... |