Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit differenzierender tarifvertraglicher Regelungen (TV-UKN) bei Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten im Rahmen der Stufenzuordnung. Kein Verstoß gegen Art. 3 GG bei geringerer Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei einem fremden Arbeitgeber. Kein Verstoß gegen Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Inländerdiskriminierung
Leitsatz (amtlich)
1. Tarifliche Vorschriften, welche für die Stufenzuordnung bei der Eingruppierung lediglich Vorbeschäftigungszeiten bei dem tarifschließenden Arbeitgeber uneingeschränkt anerkennen, bei anderen Arbeitgebern erworbene Vorbeschäftigungszeiten jedoch lediglich im beschränkten Umfang, sind wirksam.
2. Mit ihnen liegt für einen Personenkreis ohne Unionsbezug ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 AEUV) nicht vor.
Dem Unionsrecht lässt sich kein Verbot einer "umgekehrten Diskriminierung" (sog. Inländerdiskriminierung) entnehmen.
3. Art. 3 GG verpflichtet die Tarifvertragsparteien keine gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen in tariflichen Regelungen vorzusehen. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln.
4. Die Regelungen in § 16 des Tarifvertrags für die Universitätsmedizin R. und G. im Nordverbund (TV-UKN) bzw. § 16 des Tarifvertrags für die Universitätsmedizin R. und G. (TV-UMN) weisen keinen gebietsbezogenen Anwendungsbereich auf und treffen für die Anrechnung von Vordienstzeiten bei der Stufenzuordnung keine territoriale Differenzierung. Sie verstoßen weder gegen Art. 45 AEUV noch gegen Art. 33 GG.
Normenkette
AEUV Art. 45 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; TV-L § 16; TV-UKN § 16; TV-UMN § 16; ZPO § 97
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 24.02.2021; Aktenzeichen 3 Ca 323/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.02.2021 zum Az.: 3 Ca 323/20 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Freizeitausgleich und Stufenzuordnung bei der Eingruppierung.
Die im Juli 1964 geborene Klägerin war von 1985 bis 1987 zunächst als Krankenschwester im OP beim L.-H.-Stift L. beschäftigt, von 1987 bis 2000 im Krankenhaus A-Stadt. Seit 1992 ist sie Fachschwester für den Operationsdienst und war von 2000 bis 2007 als OP-Fachschwester im Universitätsklinikum L. tätig. Gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag (Blatt 44 ff. der Akte) ist die Klägerin seit dem 01.09.2007 als vollbeschäftigte Angestellte, Operationsfachschwester, zunächst mit der Entgeltgruppe EG 9A Stufe 3 der Anlage B1 zum TV-L bei der Beklagten angestellt. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages unterliegt das Arbeitsverhältnis den jeweils für den Betrieb oder Betriebsteil des Arbeitgebers anzuwendenden Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen in der jeweils gültigen Fassung, solange der Arbeitgeber hieran gebunden ist. Zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin galt der Zukunftssicherungsvertrag für das Universitätsklinikum vom 21.10.2004. Ab dem 01.01.2008 unterlag das Arbeitsverhältnis dem Tarifvertrag für die Universitätskliniken R. und B-Stadt im Tarifverbund Nord (TV-UKN). Ab dem 01.01.2012 kam der Tarifvertrag für die Universitätsmedizin R. und B-Stadt im Tarifverbund Nord (TV-UMN) zur Anwendung. Seit dem 01.01.2019 unterliegt das Arbeitsverhältnis dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).
Die Klägerin ist Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Personalrates für die nichtwissenschaftlich Beschäftigten sowie des Gesamtpersonalrats.
Im Zeitraum 10.04.2018 bis 21.05.2018 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Der Dienstplan für den Monat April 2018 (Anlage K3, Blatt 98 der Akte) weist für den Monat April 2018 für die Klägerin eine Sollarbeitszeit von 156 Stunden aus. Hierbei handelt es sich um die tarifliche Regelarbeitszeit. Die nach dem Dienstplan vorgesehene Arbeitszeit ("Ist") beläuft sich für diesen Monat auf 136,43 Stunden. Daraus folgt eine Differenz von 19,57 Stunden. Die von den Parteien eingereichte Dienstübersicht (Seite 8 der Klageschrift, Anlage B6, Blatt 113 der Akte) weist für den Monat April ebenfalls den Saldo von 19,57 Stunden aus. Der Dienstplan für den Monat Mai 2018 enthält ein Monatssoll von 156,00 Stunden und ein "Ist" von 170,30 Stunden. Hieraus ergibt sich eine Differenz von 14,30 Plusstunden (Anlage K3, Blatt 99 der Akte). Die Dienststundenübersicht weist ebenfalls einen Saldo von 14,30 Stunden aus (Seite 9 der Klageschrift, Anlage B6, Blatt 114 der Akte).
Die Beklagte hat die Eingruppierung der klägerischen Tätigkeit derart ausgeführt, dass sie zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin unter Zugrundelegung des BAT-O von einer Vergütungsgruppe KR VI ohne Aufstieg ausgegangen ist. Zur Überleitung vom BAT-O in den ab dem 01.01.2008 bei der Beklagten geltenden TV-UKN kam der TVÜ-UKN zur Anwendung. Dieser sah in seiner Anlage 5 b eine Überleitungstabelle für ...