Entscheidungsstichwort (Thema)
Unentschuldigtes Fehlen als fristloser Kündigungsgrund. Außerordentliche Kündigung wegen eigenmächtigem Urlaubsantritt. Pflicht zur Einholung gerichtlicher Hilfe bei unberechtigter Weigerung der Urlaubsgewährung. Entbehrlichkeit der Abmahnung bei bewusster Arbeitsverweigerung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubsnahme sind geeignet, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu begründen.
2. Ein Arbeitnehmer ist auch dann grundsätzlich nicht berechtigt, sich selbst zu beurlauben oder freizustellen, wenn er möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder eine Freistellung gehabt hätte. Ein solcher Anspruch ist im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes, ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchzusetzen, nicht aber durch eigenmächtiges Handeln.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 17.03.2021; Aktenzeichen 3 Ca 354/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 17.03.2021 - 3 Ca 354/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen des Vorwurfs eines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst.
Der im Februar 1959 geborene Kläger nahm am 13.04.2015 bei der beklagten Verkehrsgesellschaft eine Beschäftigung als Busfahrer auf. Die Beklagte betreibt verschiedene Buslinien und unterhält außerhalb ihres Hauptsitzes 3 Betriebshöfe. Der Kläger war dem Betriebshof R.-D. zugeordnet, an dem etwa 45 Busse und 55 Fahrer stationiert sind. Dort befindet sich eine Werkstatt mit einem Meister und 4 Gesellen. Leiter dieses Betriebshof ist Herr N., dem die Busfahrer fachlich und disziplinarisch unterstellt sind. Als Einsatzleiter ist dort u. a. Herr N. tätig.
Der Kläger hatte zeitweise den Vorsitz des Betriebsrats inne. Bei der Betriebsratswahl im Jahr 2019 wurde er als Ersatzmitglied gewählt. In dieser Funktion nahm er zuletzt am 29.01.2020 an einer Betriebsratssitzung teil. Gegenüber dem Betriebsrat erklärte er, ab dem 11.03.2020 nicht mehr für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen.
Im September 2020 verhandelte die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di über den Abschluss eines neuen Tarifvertrages zur Anpassung der tariflichen Anwendungsvereinbarung zum Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Mecklenburg-Vorpommern (TV-N M-V). An den Verhandlungen nahmen regelmäßig jeweils 2 Beschäftigte der einzelnen Betriebshöfe als Mitglieder der Tarifkommission teil. Für den Betriebshof R.-D. sollten nach Abstimmung mit der Gewerkschaft Frau C. G. und Herr H. D. an den Tarifverhandlungen teilnehmen. Frau G. war jedoch zeitweise krankheitsbedingt arbeitsunfähig und konnte deshalb zur Verhandlungsrunde am 16.09.2020 nicht erscheinen.
Am 14.09.2020 rief der Kläger zu einer Gewerkschaftsversammlung auf, bei der er gegen 19:00 Uhr zum nachrückenden Mitglied der Tarifkommission gewählt wurde. Aufgrund dessen beantragte er am darauf folgenden Tag nach Ende des 1. Dienstteils gegen 08:40 Uhr bei dem Einsatzleiter N. eine Freistellung für die Tarifverhandlungen am 16.09.2020. Das lehnte Herr N. unter Hinweis auf einen Mangel an Personal und wegen fehlender gesetzlicher Grundlage ab. Daraufhin fragte der Kläger bei dem Betriebsratsmitglied T. wegen einer Übernahme des 2. Dienstteils an, wozu sich Herr T. grundsätzlich bereit erklärte, allerdings nur bis 15:00 Uhr.
Die Freistellung von Arbeitnehmern für Tarifverhandlungen ist im TV-N M-V wie folgt geregelt:
"...
§ 14 Sonderurlaub, Arbeitsbefreiung
...
(3) Zur Teilnahme an Tagungen kann den gewählten Vertreter/innen der Bezirksvorstände, des Landesbezirksvorstandes, Gewerkschaftsrates, der Bundesfachbereichs- und der Bundesfachgruppenvorstände auf Anforderung der vertragsschließenden Gewerkschaft Arbeitsbefreiung bis zu sechs Werktagen im Jahr unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts ... erteilt werden, sofern nicht dringende betriebliche Interessen entgegenstehen. Zur Teilnahme an Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände oder ihrer Mitgliedsverbände kann auf Anforderung der vertragsschließenden Gewerkschaft Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts ... ohne zeitliche Begrenzung erteilt werden.
..."
Eine Anforderung des Klägers durch die Gewerkschaft für die Verhandlungen am 16.09.2020 lag nicht vor.
Eine weitere Regelung zur Freistellung für Tarifverhandlungen findet sich in der "Betriebsvereinbarung zur Lohnzahlung bei persönlicher Arbeitsverhinderung" vom 19.02.2014, in Kraft getreten zum 01.01.2014, die, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung, den folgenden Inhalt hat:
"...
§ 2
1. Jeder Arbeitnehmer darf der Arbeit nur fernbleiben, wenn ihm von seinem Abteilungsleiter hierzu die Ermächtigung erteilt worden ist. Ist das vorherige Einholen einer solchen Ermächtigung aufgrund besonderer Umstände nicht möglich, so ist der zust...