Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung bei Verlagerung einer Tätigkeit auf anderes Organ. Verlagerung kaufmännischer Leitung in Zweckverband. Kein Rechtsmissbrauch bei nachvollziehbarer unternehmerischer Entscheidung. Verstoß gegen Treu und Glauben als Rechtsmissbrauch bei betriebsbedingter Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verlagerung der Aufgaben eines kaufmännischen Leiters in einem öffentlich-rechtlichen Zweckverband auf einen satzungsrechtlich neu zu bestellenden hauptamtlichen Verbandsvorsteher kann eine betriebsbedingte Kündigung bedingen.

2. Rechtsmissbrauch setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich rechtlich zulässige Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm oder des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Ist eine unternehmerische Entscheidung - auch - durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers motiviert, begründet dieser Umstand für sich genommen noch keinen Rechtsmissbrauch.

 

Normenkette

KSchG § 1; KV MV § 160 Abs. 2; PersVG MV §§ 62, 68 Abs. 1 Nr. 2; BPersVG § 128; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 21.12.2021; Aktenzeichen 5 Ca 615/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 21.12.2021 - 5 Ca 615/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der beklagte Zweckverband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, der die Wasserver- und -entsorgung im Verbandsgebiet obliegt. Er beschäftigt rund 35 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 10.11.2010 schloss er mit dem 1967 geborenen Kläger einen Anstellungsvertrag, nach dem dieser mit Wirkung zum 01.01.2011 als Geschäftsführer eingestellt wird. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich laut Anstellungsvertrag nach dem Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe (TV-V) vom 05.10.2000 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweiligen Fassung. Der Kläger bezog die Vergütung der Entgeltgruppe 14 TV-V, was zuletzt einem monatlichen Gehalt von € 8.044,30 brutto entsprach.

Die Satzung des Beklagten vom 28.10.2019 sieht entsprechend § 155 der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) zwei Verbandsorgane vor, zum einen die Verbandsversammlung und zum anderen den Verbandsvorsteher. Der Verbandsvorsteher ist der gesetzliche Vertreter des Zweckverbandes (§ 158 Abs. 1 KV M-V, § 8 Abs. 1 Satzung 2019). Der Verbandsvorsteher hat den Vorsitz im Vorstand inne, dem weitere sechs ehrenamtliche Mitglieder angehören. Nach § 8 Abs. 4 der Satzung 2019 ist dem ehrenamtlichen Verbandsvorsteher zur Durchführung und Vorbereitung der Beschlüsse und zur Führung der laufenden Geschäfte der Verwaltung ein Geschäftsführer zur Seite gestellt, dessen Rechte und Pflichten der Verbandsvorstand in einer entsprechenden Dienstanweisung zu regeln hat (§ 10 Satzung 2019).

Nachdem es mehrere Jahre in Folge zu wirtschaftlichen Defiziten gekommen war, kündigte der Beklagte das Anstellungsverhältnis mit Schreiben vom 19.05.2020 ordentlich zum 31.12.2020 und stellte den Kläger mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei. Im Anschluss daran übertrug der Beklagte die bisherigen Aufgaben des Klägers einem externen Dienstleister als Interimsgeschäftsführer. Mit Urteil vom 18.03.2021, Aktenzeichen 4 Sa 293/20, stellte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Unwirksamkeit dieser Kündigung fest und verurteilte den Beklagten, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Geschäftsführer weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hatte zwischenzeitlich ein anwaltliches Gutachten zur Umgestaltung der bislang ehrenamtlichen Funktion des Verbandsvorstehers zu einer hauptamtlichen Tätigkeit in Auftrag gegeben. Das Gutachten der GKMP P. P. mbB vom 21.04.2021 endet mit der Empfehlung, einen hauptamtlichen Verbandsvorsteher zu berufen und im Gegenzug auf einen hauptamtlichen Geschäftsführer zu verzichten. Das Gutachten verwies insbesondere auf die hohe Verantwortung, die zeitliche Belastung und das Haftungsrisiko der Ehrenamtler.

Des Weiteren hatte der Beklagte bei der WTE B. mbH eine überschlägige Überprüfung zur finanziellen Tragfähigkeit der ursprünglichen Gebührenkalkulationen der Jahre 2017 bis 2019 sowie der Jahreskalkulation 2020 in Auftrag gegeben. Der Bericht vom 26.04.2021 kommt zu dem Ergebnis, dass die Gebührenkalkulationen für diese Jahre nicht auskömmlich waren und nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprachen. Die Methode des Defizitausgleichs über Darlehen und Kassenkredite sieht der Gutachter als fachlich untauglich und rechtlich fragwürdig an.

Auf der Grundlage dieses Berichts beauftragte der Beklagte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft RMS N. GmbH mit einer Überprüf...

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