Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz zur Untersagung einer Stellenbesetzung bei einem öffentlichen Arbeitgeber. Verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG. Verletzung des subjektiven Rechts eines Stellenbewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG. Eignung i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG. Nachteile für den Bewerber auch bei Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK
Leitsatz (amtlich)
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Stellenbesetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist stattzugeben, wenn das Bewerbungsverfahren rechtlich fehlerhaft durchgeführt worden ist und bei Vermeidung des Fehlers eine Besetzung der Stelle mit dem Rechtsschutz begehrenden unterlegenen Bewerber möglich erscheint (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 25.11.2015 - 2 BvR 1461/15 - NJW 2016, 309).
Leitsatz (redaktionell)
1. Art. 33 Abs. 2 GG garantiert jedem Stellenbewerber um ein Amt im öffentlichen Dienst ein als verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch bezeichnetes subjektives Recht auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren. Die Bewerber können verlangen, dass die Auswahlentscheidung nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Auswahlkriterien erfolgt.
2. Wird das subjektive Recht eines Bewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung verletzt, kann der unterlegene Bewerber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Aussichten, im Fall eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens zum Zuge zu kommen, offen sind, d.h. seine Auswahl muss als möglich erscheinen.
3. Zum Begriff der Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG gehört auch die persönliche Eignung. Diese umfasst im engeren Sinne insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die in dem angestrebten Amt von Bedeutung sind. Geeignet im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist.
4. In Art. 6 Abs. 2 EMRK ist die Unschuldsvermutung verankert. Diese bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit einer Anklage zu entscheiden hat. Daraus ergibt sich nicht, dass aus einem anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren für den Beschuldigten überhaupt keine Nachteile entstehen dürfen. Es ist deshalb anerkannt, dass die Frage nach noch anhängigen Straf- oder Ermittlungsverfahren zulässig sein kann, wenn solche Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers begründen können.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; ArbGG § 62 Abs. 2; ZPO § § 935 ff., § 940; EMRK Art. 6 Abs. 2; KSchG § 9 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 14.06.2023; Aktenzeichen 29 Ga 54/23) |
Tenor
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 14.06.2023 - 29 Ga 54/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Besetzung der Stelle "Arbeitsvermittler/-in (w/m/d) Arbeitgeberservice (Arbeitsort Z)".
Die Verfügungsbeklagte schrieb Anfang 2023 die oben genannte Stelle in der Dienststelle Agentur für Arbeit Y öffentlich aus. Zu den Aufgaben des Stelleninhabers gehörte u.a. die Neuakquise von Arbeitgebern, die Beratung kleiner und mittelständischer Unternehmen hinsichtlich ihrer Außenwirkung, Eingliederungsleistungen und Optimierung ihrer Personalplanung und -entwicklung, die Entwicklung individueller Besetzungsstrategien von Ausbildungs- und Arbeitsstellen sowie die Vertretung der Verfügungsbeklagten z. B. auf Jobmessen und bei Job-Speed-Datings. Für den weiteren Inhalt der Stellenausschreibung wird auf Bl. 11 d. A. Bezug genommen.
Der am ... geborene Verfügungskläger hat ein BWL-Studium mit dem Studienschwerpunkt Personal und eine pädagogische Zusatzausbildung absolviert. Er verfügt über umfassende Berufserfahrung als pädagogischer Mitarbeiter bei Bildungsträgern. Bereits 2012 und 2013 hat der Verfügungskläger erfolgreich Klageverfahren gegen die Verfügungsbeklagte in Bezug auf Ansprüche aus Art. 33 Abs. 2 GG geführt. Seit Ende 2022 hat sich der Verfügungskläger dreimal bei der Verfügungsbeklagten beworben; die Bewerbungsverfahren sind Gegenstand der Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht München zu den Az. 8 SaGa 4/23, 5 SaGa 8/23 und 11 SaGa 13/23. Des Weiteren ist ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht München zum Az. 2 Ga 70/23 rechtshängig.
Durch Urteil vom 04.05.2022 hat der BGH eine Verurteilung des Verfügungsklägers und seines Bruders, der ihn in diversen Prozessen vertreten hat, wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Bezug auf 35 Einzelvorfälle im Zusammenhang mit fingierten Bewerbungen bei Arbeitgebern aufgehoben und an das LG München I zur neuen Verhandlung und Entscheidung wegen einer möglichen Strafbarkeit wegen Prozessbetrugs zurückverwiesen.
Der Verfügungskläger bewarb sich mit der hier streitigen Bewerbung innerhalb der bis zum 15.03.2023 laufenden Bewerbungsfrist über die seitens der Verfügungsbeklagten zur Verfügung ges...