Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplan und Benachteiligungsverbot nach dem AGG. Mittelbare Benachteiligung wegen des Alters bei Sozialplanabfindungen. Keine Altersdiskriminierung bei Höchstbetragsklausel im Sozialplan. Unionsrechtliche Zulässigkeit einer Höchstbetragsbegrenzung im Sozialplan
Leitsatz (redaktionell)
1. Sozialpläne sind Vereinbarungen i.S.d. § 7 Abs. 2 AGG, deren Bestimmungen unwirksam sind, wenn sie gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Eine unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen in einem Sozialplan aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist nur unter den im AGG genannten Voraussetzungen zulässig. Insoweit gibt es keinen separaten Prüfungsmaßstab aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG.
2. Begrenzt eine Regelung eine mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigende Sozialplanabfindung der Höhe nach, kann nur eine mittelbare Benachteiligung wegen das Alters vorliegen. Denn die Höchstgrenze für die Abfindung kann im Einzelfall bei einem jüngeren Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeitszeit eingreifen, während sie bei einem lebensälteren Mitarbeiter mit kurzer Betriebszugehörigkeit nicht zum Tragen kommt.
3. Ältere Arbeitnehmer werden durch eine Höchstbetragsklausel im Sozialplan nicht anders behandelt als jüngere Arbeitnehmer. Die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer werden nämlich unabhängig von Lebensalter, Betriebszugehörigkeitszeit und Verdienst von einem bestimmten Abfindungsbetrag an gleich behandelt.
4. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur RL 2000/78/EG wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Gewährung eines Ausgleichs mit einer Höchstbetragsklausel für die Zukunft entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer in Anbetracht der für einen Sozialplan nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel ein legitimes Ziel ist.
Normenkette
BetrVG § 75 Abs. 1, §§ 111-112; RL 2000/78/EG Art. 1, 2 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 1; AGG §§ 1, 3 Abs. 1-2, § 7 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 07.11.2019; Aktenzeichen 6 Ca 4106/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 07.11.2019 - 6 Ca 4106/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.
Die am 00.00.0000 geborene Klagepartei war bei der Beklagten seit dem 01.05.1989 als angestellter Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in C-Stadt und Teil der Z. Gruppe (nachfolgend: "Z.-Gruppe"). Die Z.-Gruppe beschloss 2017, ihre Vertriebstätigkeit im Außendienst zum 30.06.2018 vollständig einzustellen und ihre Produkte ausschließlich durch die X. AG XAG-Gruppe (nachfolgend: "XAG") vertreiben zu lassen. Die Arbeitsverhältnisse der Außendienstmitarbeiter wurden durch Aufhebungsverträge oder Kündigungen beendet; sie erhielten die Möglichkeit, einen Handelsvertretervertrag mit der XAG einzugehen.
Am 16.02.2018 wurde ein "Sozialplan zum Programm SSYtoLead" (nachfolgend: "Sozialplan") vereinbart, der Regelungen über Abfindungen für Arbeitnehmer enthält, deren Arbeitsplatz aufgrund der Reorganisationsmaßnahmen wegfällt. Nach Teil C V Ziff. 4. Sozialplan setzt sich die Abfindung aus einer Grundabfindung und Erhöhungsbeträgen zusammen. Die Grundabfindung berechnet sich gem. Teil C V Ziff. 4.1 a) Sozialplan nach der Formel:
Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Brutto-Monatsverdienst / 40.
Die Erhöhungsbeträge werden Arbeitnehmern mit unterhaltsberechtigten Kindern in Höhe von € 3.450,00 brutto je unterhaltsberechtigtem Kind, Schwangeren und werdenden Vätern in Höhe von € 3.450,00 brutto je lebend geborenem Kind und schwerbehinderten bzw. ihnen gleichgestellten Arbeitnehmern in Höhe von € 5.150,00 brutto gezahlt, Teil C V Ziff. 4.1. b) Sozialplan.
Darüber hinaus bestimmt der Sozialplan in Teil C Ziff. 4. 1 Höchstbeträge wie folgt:
c) Höchstbeträge
(1) Die Grundabfindung bzw. die Abfindung ist auf die Höchstbeträge gemäß nachstehender Absätze (2) bis (4) begrenzt. Die Höchstbeträge sind unabhängig voneinander zu ermitteln. Der jeweils niedrigste Höchstbetrag ist dann für die Ermittlung der Grundabfindung und für die Ermittlung der Abfindung maßgeblich.
(2) Die Grundabfindung soll der Überbrückung längstens bis zur Möglichkeit des Bezugs einer ungekürzten Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und vergleichbarer Leistungen sowie Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung dienen. Die Höhe der Grundabfindung ist daher wie folgt begrenzt:
(a) Die Höhe der Grundabfindung ist auf die Summe der Bruttomonatsverdienste begrenzt, die zwischen dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Zeitpunkt liegen, ab dem der Arbeitnehmer eine ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und/oder eine mit ihr vergleichbare Leistung (...) in Anspruch nehmen kann (nachste...