Entscheidungsstichwort (Thema)
Incentive-Bonus in der Insolvenz
Leitsatz (amtlich)
1. Eine sogenannte Retentionsprämie (Bleibeprämie), die laut Zusage voraussetzt, dass der Zusageempfänger das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht von sich aus gekündigt hat, ist eine Insolvenzforderung, wenn die Insolvenz neun Stunden nach diesem Zeitpunkt eröffnet wird. Dies gilt auch dann, wenn der Auszahlungszeitpunkt der Prämie nach Insolvenzeröffnung liegt.
2. Eine variable Vergütung (sog. Incentive-Bonus), die bei Erreichung bestimmter Ziele im Geschäftsjahr gezahlt wird, ist eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, wenn und soweit die Zielerreichung erst nach dem Ende der Zielperiode festgestellt werden kann und dieser Zeitpunkt nach der Insolvenzeröffnung gilt, und wenn für Teilperioden innerhalb der Zielperiode kein Zielerreichungsgrad feststellbar ist. Dies gilt auch, wenn aus bestimmten Gründen – z. B. Ausscheiden während der Zielperiode – der Referenzzeitraum verkürzt wird.
3. Der Schadenersatzanspruch wegen unterlassener Zielvereinbarung entsteht nicht vor dem Zeitpunkt, in dem der entgangene Incentive-Bonus-Anspruch entstanden wäre.
4. Einer Klage auf Feststellung zur Insolvenztabelle fehlt eine Sachurteilsvoraussetzung wenn die Forderung zwar zur Tabelle angemeldet, aber noch nicht geprüft und bestritten worden ist.
Normenkette
InsO §§ 55, 108, 174, 179, 146, 133-134; BGB §§ 280, 283, 252
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 16.11.2010; Aktenzeichen 36 Ca 14709/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 16.11.2010 – 36 Ca 14709/09 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.300,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.10.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3 zu tragen.
- Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, an den Kläger eine sogenannte Retentionsprämie sowie eine anteilige variable Vergütung – sogenannter jährlicher Bonus – zu zahlen.
Der Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit 01.06.2005 beschäftigt auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01.06.2005, zuletzt als übertariflicher Angestellter in der Position eines Senior Director/Overall Program Manager mit einem Jahreszieleinkommen in Höhe von 116.600,00 EUR brutto. Das Jahreszieleinkommen setzte sich nach Ziff. 4 des Arbeitsvertrages aus einem festen Jahresgehalt in Höhe von zuletzt 84.000,00 EUR brutto (= monatlich 7.000,00 EUR brutto) und einem jährlichen variablen Einkommen – dem sogenannten Bonus – bei Erreichung festgelegter Ziele in Höhe von zuletzt 32.600,00 EUR brutto bei einhundertprozentiger Zielerreichung im Geschäftsjahr (01.10. bis 30.09. des Folgejahres) zusammen. Nach Ziff. 4 des Arbeitsvertrages werden die Ziele jährlich auf der Grundlage der jeweils geltenden Richtlinie (Bonus & Incentive Guideline) in einer gesonderten Zielvereinbarung festgelegt. Mit dieser Richtlinie ist eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur variablen Vergütung im übertariflichen Bereich in der I. (ÜT-Bonus) vom 21.06.2005 gemeint, die später einen Nachtrag vom 28.06.2006 erhielt. Nach dem Betriebsübergang vom 01.05.2009 von der I. zur Q. – der nachmaligen Insolvenzschuldnerin – wurde diese Gesamtbetriebsvereinbarung durch die Betriebsvereinbarung zur Variablen Vergütung im übertariflichen Bereich in der Q. (ÜT-Bonus) vom 16.11.2006 ersetzt. Dort ist unter Ziff. 11.1 Eintritt/Beendigung des Arbeitsverhältnisses geregelt:
Die Regeln für „Eintritt/Beendigung des Arbeitsverhältnisses” werden auch auf Mitarbeiter in der Elternzeit oder einem Sabbatical angewendet.
11.1.1 Eintritt im 1., 2. und 3. Quartal
Bei unterjährigem externen Eintritt wird innerhalb der ersten drei Monate nach Eintritt eine Zielvereinbarung abgeschlossen. Die Auszahlung des Bonus gemäß Zielerreichung erfolgt zeitanteilig nach Ablauf des Geschäftsjahres.
11.1.2 Eintritt im 4. Quartal Bei Eintritt im 4. Quartal werden alle Ziele zu 100 % für dieses Quartal ausbezahlt.
11.1.3 Beendigung im 1. und 2. Quartal des Geschäftsjahres
Die Zielerreichung wird mit 100 % bewertet. Der ermittelte Betrag wird zeitanteilig im Monat der Endabrechnung ausbezahlt.
11.1.4 Beendigung im 3. oder 4. Quartal des Geschäftsjahres
Die Zielerreichung für die individuellen Ziele wird zum Beschäftigungsende, der Gesamtzielerreichungsgrad wird nach dem Ende des Geschäftsjahres, in dem das Beschäftigungsverhältnis endet, bewertet. Der ermittelte Betrag wird zeitanteilig zu dem üblichen Auszahlungstermin ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 26.10.2008 sagte die Insolvenzschuldnerin eine Retentionsprämie zu wie folgt:
…
Wir freuen uns, dass wir Ihnen zum 31.03.2009 einen einmalige...