Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber bei personellen Einzelmaßnahmen. Der Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs mit erheblichen Änderungen der Arbeitsumstände als Versetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfüllt für sich allein den Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nur, wenn sie für längere Zeit als einen Monat geplant ist. Andernfalls liegt auch bei Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs eine Versetzung nur vor, wenn mit dieser Zuweisung zugleich eine erhebliche Änderung der Umstände einhergeht, unter denen die Arbeit zu leisten ist.
2. Diese Arbeitsumstände sind die äußeren Umstände, unter denen der Arbeitnehmer seine - ohnehin andere - Tätigkeit zu verrichten hat.
3. Bei der Betrachtung und Beurteilung, ob in diesem Sinne eine erhebliche Änderung der Umstände vorliegt, unter denen die Arbeit zu leisten ist, darf keine atomisierende Betrachtungsweise gewählt werden, sondern es bedarf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, unter denen die konkrete Arbeit zu leisten ist.
4. Dazu gehört auch die Frage, ob die Arbeit überwiegend mit oder ohne Kundenkontakt zu leisten ist. Dieser Umstand beeinflusst insoweit die Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, als im Handelsbereich die Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden, (z.B. an der Kasse) weder gänzlich zurückgewiesen noch für längere Zeit zurückgestellt werden können, sondern stets Vorrang genießen.
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3, §§ 99, 100 Abs. 2, § 101
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 15.05.2018; Aktenzeichen 6 BV 16/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 15. Mai 2018 - 6 BV 16/17 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass der Betriebsrat vor folgenden Zuweisungen eines anderen Arbeitsbereichs auch dann nach § 99 BetrVG zu beteiligen ist, wenn diese Zuweisung voraussichtlich die Dauer von einem Monat nicht überschreitet:
a. Zuweisung einer Tätigkeit an der Kasse, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Abteilungsleiter/in Personal" beschäftigt wird;
b. Zuweisung einer Tätigkeit an der Kasse oder im Bereich Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Teamleiter/in Personal" beschäftigt wird;
c. Zuweisung einer Tätigkeit im Bereich Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Mitarbeiter/in Personal" beschäftigt wird;
d. Zuweisung einer Tätigkeit an der Kasse, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Staff Planning Manager" beschäftigt wird;
e. Zuweisung einer Tätigkeit an der Kasse, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig im Bereich "Lokales Marketing (LOMA)" beschäftigt wird;
f. Zuweisung einer Tätigkeit in der Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Teamleiter/in im Bereich Haustechnik" beschäftigt wird;
g. Zuweisung einer Tätigkeit an der Kasse oder in der Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Spezialist/in im Bereich EDV" beschäftigt wird;
h. Zuweisung einer Tätigkeit in der Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Teamleiter/in Sales & Supply Support (SSS)" beschäftigt wird;
i. Zuweisung einer Tätigkeit in der Logistik, wenn der/die betroffene Mitarbeiter/in sonst regelmäßig als "Teamassistent/in Sales & Supply Support (SSS)" beschäftigt wird;
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit die kurzzeitige Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Einrichtungshaus in A-Stadt als Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG zu qualifizieren ist.
Die Beteiligte zu 2) (künftig: Arbeitgeberin) betreibt in A-Stadt eines von bundesweit über 40 Möbelhäusern. Auf die Arbeitsverhältnisse der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen die Tarifverträge für den Niedersächsischen Einzelhandel zur Anwendung. Der Beteiligte zu 1) (künftig: Betriebsrat) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.
Bei der Arbeitgeberin ist es zumindest an durch besonders hohe Kundenfrequenz gekennzeichneten "peak days" üblich, dass Beschäftigte aus anderen Arbeitsbereichen bei personellen Engpässen insbesondere in den Arbeitsbereichen Kasse und Logistik aushelfen. Durch eine intern als "Lucky-Luke-Ausruf" bezeichnete Ansage werden alle verfügbaren Kräfte in der Kommissionierung konzentriert. Abgezogen werden die Beschäftigten unter anderem aus den Arbeitsbereichen Food, Verkauf, Kommunikation und Einrichtung sowie aus der Personalabteilung. Die Einsatzdauer an den anderen Arbeitsplätzen in der Logistik oder an der Kasse betrug in dem hier streitgegenständlichen Betrachtungszeitraum von Ende Juli 2017 bis Ende April 2018 in der ü...