Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafanzeige gegen Arbeitgeber. außerordentliche Kündigung. Veruntreuung
Leitsatz (amtlich)
Zeigt ein Arbeitnehmer, der als Krankenwagenfahrer bei einem gemeinnützige Wohlfahrtszwecke verfolgenden Verein beschäftigt ist, deren vorsitzende und einen weiteren leitenden Mitarbeiter wegen Veruntreuung und weiterer Vermögensdelikte zum Nachteil des Vereins an, handelt er jedenfalls dann nicht pflichtwidrig, wenn sich die Vorwürfe im Strafverfahren als berechtigt erweisen. Dies gilt selbst dann, wenn
- der Arbeitnehmer von den Vorwürfen nur aus „zuverlässiger Quelle” vom Hörensagen erfahren hat (hier: durch die Kassenwartin des Vereins),
- er in seiner beruflichen Funktion weder Kenntnisse noch Einfluss auf Vermögensdispositionen hat und für finanzielle Unregelmäßigkeiten nicht zur Verantwortung gezogen werden kann,
- er sich nicht vor der Anzeige um Aufklärung des Sachverhalts bemüht hat, weil er diese als nicht erfolgsversprechend angesehen hat.
Normenkette
BGB §§ 242, 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lüneburg (Urteil vom 04.01.2002; Aktenzeichen 3 Ca 2303/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 04.01.2002 – 3 Ca 2303/01 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung des Beklagten vom 29.11.2001 noch durch die Kündigung des Beklagten vom 03.01.2002 beendet worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der Beklagte ist ein Verein, der nach § 2 seiner Satzung auschließlich und unmittelbar gemeinnützige bzw. mildtätige Wohlfahrtszwecke im Sinne des Abschnitts „steuerbegünstigte Zwecke der Abgabenordnung” verfolgt. Zweck des Vereins ist die häusliche und private Pflege von alten, gebrechlichen körper- und mehrfach behinderten Menschen sowie der liegende Krankentransport.
Der Kläger war seit dem 01.11.1999 bei dem Beklagten, der im Jahr 2001 ca. 13 Mitarbeiter beschäftigte, als Krankenwagenfahrer mit einem Bruttogehalt von 3.284,53 DM tätig. Der Ehemann der Vorsitzenden war bei dem Beklagten angestellt und nahm tatsächlich die Geschäftsführungsaufgaben wahr. Zeitweise war er zweiter Vorsitzender.
Ab Juni 2001 zahlte der Beklagte die Löhne und Gehälter nicht pünktlich, mit der Folge, dass einzelne Arbeitnehmer auf Zahlung klagten. Der Kläger erfuhr von Frau K… M…, der damaligen Schatzmeisterin des Vereins, über angebliche Unregelmäßigkeiten des Vorstands bei der Verwaltung der Geschäftsgelder. Am 11.09.2001 erstattete er bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen die Vorsitzende des Vereins und deren Ehemann Strafanzeige wegen Veruntreuung; zu der Begründung der einzelnen Vorwürfe wird auf die Beiakte Bezug genommen.
Wegen der Strafanzeige kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.11.2001 fristlos, hilfsweise fristgerecht.
An diesem Tag kassierte der Kläger bei zwei Patienten den so genannten Eigenanteil von je 25,00 DM und gab die entsprechende Quittung bei dem Beklagten ab, der diese im Laufe des Berufungsverfahrens vorlegte.
Im Termin am 27.05.2002 überreichte der Kläger eine Quittung vom 29.11.2001 über Verzehr in Höhe von 20,60 DM sowie einen Kassenbon vom 30.11.2001 über den Erwerb einer Telefonkarte mit einem Guthaben von 25,00 DM.
Eine weitere fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 03.01.2002 begründete der Beklagte damit, dass der Kläger am 19.11.2001 am Kiosk eines Krankenhauses in C… eine Bockwurst gegessen hatte und sich die Kosten dafür in Höhe von 7,50 DM von der damaligen Schatzmeisterin des Vereins gegen einen entsprechenden Beleg erstatten ließ.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen hätten das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht beendet.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 29.11.2001 nicht beendet ist, sondern unverändert fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat den Standpunkt eingenommen, die fristlose Kündigung vom 29.11.2001 sei wirksam. Der Kläger habe einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gegeben, indem er die Vereinsvorsitzende ohne vorherige „interne Abmahnbitten, das Unrechtmäßige einzustellen” angezeigt habe. Außerdem hat der Beklagte bestritten, dass die Vorsitzende oder deren Ehemann Vereinsgelder unregelmäßig verwaltet und sich selbst bereichert hätten. Im Gegenteil hätten sie dem Verein private Darlehen gewährt. Zur Entnahmen sei es nur in Erfüllung der Verpflichtung zur Rückzahlung der Kredite gekommen.
Der Beklagte hat außerdem gemeint, die Erstattung der Kosten für eine Bockwurst am 19.11.2001 stelle einen weiteren wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar, weil privater Verze...