Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung. Jahressonderzahlung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Auslegung von § 19 MTV für die Beschäftigten des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems vom 11.09.2009 ergibt, dass die Arbeitnehmer Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe eines prozentualen Anteils von jedenfalls 60% haben. Auch wenn die unterschiedlichen Prozentsätze für die einzelnen Entgeltgruppen bisher nicht geregelt wurden, ist die tarifliche Regelung wegen des grundsätzlichen Bestehens eines Anspruchs in Höhe von zumindest 60% des Entgelts nicht lückenhaft.

 

Normenkette

MTV für die Beschäftigten des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems § 19

 

Verfahrensgang

ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 29.09.2010; Aktenzeichen 6 Ca 179/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 29.09.2010 – 6 Ca 179/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Jahressonderzahlung gemäß § 19 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten des ehemaligen AWO Bezirksverbandes Weser-Ems vom 11.09.2009 (im Folgenden: MTV).

Die Klägerin ist seit Juli 1996 bei der Beklagten im Altenwohnzentrum A-Stadt beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden für die AWO-Gruppe Weser-Ems geltenden Tarifverträge Anwendung. Zunächst galt der Bundesmanteltarifvertrag vom 01.11.1997 (im Folgenden: BMT-AW II). Dieser Tarifvertrag sah ursprünglich eine Jahressonderzahlung in Höhe von 100 % der Bemessungsgrundlage vor, die durch spätere Zusatzverträge eingefroren wurde. Ab 2003 galten verschiedene Restrukturierungstarifverträge. Im September 2006 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di mehrere neue Tarifverträge für die Beschäftigten der AWO-Gruppe, unter anderem einen neuen MTV, der unter § 19 wegen der Jahressonderzahlung folgende Regelung enthält:

§ 19 Jahressonderzahlung

(1) Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.

(2) die Jahressonderzahlung beträgt bei Beschäftigten,

in den Entgeltgruppen X bis X

90 v.H.,

in den Entgeltgruppen X bis X

80 v.H. und

in den Entgeltgruppen X bis X

60 v.H.

des der/dem Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts; unberücksichtigt bleiben hierbei das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt (mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden), Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien. Der Bemessungssatz bestimmt sich nach der Entgeltgruppe an 1. September. Bei Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30. September begonnen hat, tritt an die Stelle des Bemessungszeitraums der erste volle Kalendermonat des Arbeitsverhältnisses. (…)

Gleichzeitig schlossen die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems (im Folgenden TV AstD). Hierdurch wurde § 19 MTV außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig regelte der TV AstD Ausgleichsleistungen für ver.di – Mitglieder. Dieser Tarifvertrag konnte frühestens zum 30.06.2009 gekündigt werden, eine Nachwirkung wurde ausgeschlossen.

Die Tarifvertragsparteien konnten sich in der Folgezeit nicht auf eine neue Entgeltordnung einigen. Die Eingruppierung neu eingestellter Arbeitnehmer erfolgt seit Juli 2008 anhand eines eigenen Systems, das sich an die Regelungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst anlehnt. Die Gewerkschaft ver.di kündigte den TV AstD zum 30.06.2009.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, aus § 19 Abs. 1 MTV ergebe sich dem Grunde nach ein Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. Dieser betrage gemäß Absatz 2 mindestens 60 % des durchschnittlichen monatlichen Entgelts. In ihrem Fall sei ein ausgehend von der tariflichen Eingruppierung und in Anlehnung an die entsprechende Regelung im TVöD wohl von einem Anspruch in Höhe von 90 % auszugehen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an sie 2.953,41 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, § 19 MTV stelle eine unvollständige Regelung dar. Eine isolierte Betrachtung nach Anspruchsgrund und Anspruchshöhe sei nicht möglich. Die Tarifvertragsparteien hätten wegen der Sonderzahlung bewusst eine lückenhafte Regelung geschaffen. Das sei für die Gewerkschaft damals akzeptabel gewesen, weil die Arbeitgeberseite an anderer Stelle zu einem Entgegenkommen bereit gewesen sei. Dokumentiert werde dies auch durch das Fehlen einer Übergangsregelung. Die Arbeitsgerichte seien nicht befugt, eine derartige bewusste Tariflücke durch eine ergänzende Auslegung zu schließen. Im Übrigen sei es auch denkbar, dass Entgeltgruppen vereinbart würden, die nicht in die Aufstellung des § 19 Abs. 2 MTV aufgenommen würden. Zudem seien einige d...

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