Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlicher Zuschlagsätze für verschiedene Arten der Nachtarbeit. Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit als sachlicher und angemessener Grund für unterschiedliche tarifliche Zuschlagsätze. Kein Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung aus einer Tarifnorm ohne Anwendungsbereich
Leitsatz (amtlich)
Hat eine Tarifnorm keinen Anwendungsbereich, kann sie niemals Grundlage für einen Anspruch aus Gleichbehandlung sein. Jede andere Sichtweise ist unlogisch und weltfremd.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei ihrer tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar, jedoch mittelbar grundrechtsgebunden. Den Tarifvertragsparteien steht als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative bezüglich der betroffenen Interessen und der Regelungsfolgen bei ihrer Normsetzung zu.
2. Ein sachlich vertretbarer Grund für die Differenzierung bei der tariflichen Zuschlagshöhe für unregelmäßige und regelmäßige Nachtarbeit ist gegeben, weil arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse eine Gesundheitsbelastung nach Maßgabe der Häufigkeit und des Umfangs der Nachtarbeit ergeben und die Tarifvertragsparteien zudem auch die sozialen Folgen der Arbeitszeiten außerhalb der normalen Arbeitszeit (soziale Desynchronisation) mindern wollen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; MTV Nds. Metallindustrie Bezirk Küste § 7 Absch. 1.2; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 17.02.2020; Aktenzeichen 4 Ca 210/19) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.02.2020 - 4 Ca 210/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen, mit Ausnahme des Antrags zu Ziffer 4 des Schriftsatzes vom 16.11.2020 (Verzugspauschale).
Insoweit wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge, wobei als Vorfrage problematisch ist, ob die Differenzierung innerhalb des Tarifvertrages gleichheitswidrig ist.
Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten als Arbeitnehmer tätig. Kraft einzelvertraglicher in Bezugnahme findet der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Bezirk Küste Anwendung. Bis zur Änderung der tarifvertraglichen Vorschriften am 01.04.2020 war für den hier einschlägigen Bezirk D-Stadt unter § 7 in Abschnitt 1.2 die Höhe der Nachtarbeitszuschläge wie folgt geregelt:
"1.2 Nachtarbeit
a. regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend) 15%
b. unregelmäßige Nachtarbeit 30%
c. Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt 50%"
§ 7 Ziffer 3 regelte wörtlich folgendes:
"3 mehrere Zuschläge:
Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen. Ausgenommen hiervon ist in Schichtbetrieben der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit, der neben den Zuschlägen für Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen gezahlt wird."
Die Beklagte ist produzierend im Schichtsystem tätig. Der Kläger nimmt an dem Schichtsystem teil und ist in der sog. Kontischicht tätig. Dort setzt die Beklagte die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer ein. In dieser Kontischichtproduktion wird bei einem 12-Wochen-Rhythmus an 14 Tagen in Frühschicht mit einem Nachtarbeitszuschlagsanteil von 0,75 Stunden zu 15% pro Tag gearbeitet. 21 Tage werden in Spätschicht abgeleistet mit einem Nachtarbeitszuschlagsanteil von 0,25 Stunden zu 15% pro Tag. 21 Tage werden in Nachtschicht mit einem Nachtschichtnachtarbeitszuschlagsanteil von 7,5 'Stunden zu 15% pro Tag abgeleistet. Der maßgebende Tarifvertrag definierte in dem streitgegenständlichen Zeitraum die Nachtarbeit wie folgt:
"Nachtarbeit: Als Nachtarbeit gilt die Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr."
Der Kläger war aufgrund des Schichtsystems in dem Zeitraum von Oktober 2018 bis Februar 2020 weit überwiegend innerhalb des Schichtsystems während der im Tarifvertrag definierten Nachtzeiten tätig. Hierfür erhielt er weit überwiegend einen Nachtarbeitszuschlag von 15%, teilweise jedoch in geringem Ausmaß 30%.
Mit seiner Klage hat er erstinstanzlich für den Zeitraum von Oktober 2018 bis Dezember 2020 6.731,93 EUR brutto als Differenz zwischen den erhaltenen Nachtzuschlägen und den begehrten Nachtzuschlägen in Höhe von 50% geltend gemacht, sowie allgemein die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung eines Nachtzuschlages in Höhe von 50% und die Verzugspauschale geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die tarifvertragliche Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Zuschläge für Nachtarbeit sei wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 GG unwirksam, es habe eine Anpassung nach oben zu erfolgen, und ihm ständen nicht nur 15% oder 30%, sondern 50% Nachtarbeitszuschläge zu.
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt...