Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl. Leistungsträger. Auskunftspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. § 1 Abs. 5 KSchG ist verfassungskonform.
2. Für das Vorliegen dringender betrieblicher Interessen an der Weiterbeschäftigung einzelner Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Das gilt auch bei einer Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG. Zur Erfüllung dieser Darlegungspflicht muss der Arbeitgeber auch darlegen, welche konkreten Erwägungen und Abwägungen zur Herausnahme des Leistungsträgers geführt haben. Dies gilt auch, wenn die Betriebspartner bei der Erstellung der Namensliste zahlreiche Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen. Kommt der Arbeitgeber seiner Darlegunslast nicht nach, ist die Kündigung ohne weiteres sozialwidrig, ohne dass es auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl noch ankommt.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3, 5
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 26.04.2005; Aktenzeichen 3 Ca 856/04) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 26.04.2005 – 3 Ca 856/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen nach einem Wert von 11.200,00 EUR.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste unter Bildung von Altersgruppen ausgesprochen worden ist.
Der Kläger ist 1957 geboren und seiner Ehefrau und zwei Kindern unterhaltspflichtig. Die 1983 geborene Tochter ist als Epileptikerin behindert mit einem GdB von 100 und wegen täglicher Anfälle auf die Pflege durch ihre Eltern angewiesen. Der Kläger ist seit Beginn seiner Ausbildung als Werkzeugmacher im April 1973 bei der Beklagten beschäftigt. Er war zuletzt als Vorrichtungsbauer II in der Kostenstelle 437/Fertigung VB tätig und ist damit dem Betriebsmittelbau zugeordnet. Die Beklagte entwickelt und produziert Automobile für andere Hersteller. Sie sprach im November 2004 insgesamt 824 Kündigungen aus, u. a. dem Kläger mit Schreiben vom 24.11.2004 zum 30.06.2005. Die Beklagte stützt diese Kündigung auf den für den Betriebsmittelbau am 24.11.2004 geschlossenen Interessenausgleich mit Namensliste (BV 33/04), auf den Bezug genommen wird (Bl. 23 bis 37 d. A.). Danach sollten im Betriebsmittelbau 90 Änderungs- und maximal 120 Beendigungskündigungen ausgesprochen werden. Fester Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung ist eine Namensliste, auf der die letztlich 117 Arbeitnehmer, die eine Beendigungskündigung erhalten haben, namentlich aufgeführt sind, unter anderem der Kläger (Bl. 42 d. A.). Bei seiner Auswahl gingen die Betriebspartner wie folgt vor: In der Kostenstelle 437 sollten 17 Vorrichtungsbauer II entlassen werden. Für vergleichbar mit diesen Arbeitnehmern hielten die Betriebspartner die in der Kostenstelle 437 beschäftigten Lehrenbauer I, die Werkzeugmacher III der Kostenstellen 475, 454 und 509 sowie die Vorrichtungsbauer II der Kostenstelle 648 und die Anreißer I der Kostenstelle 444. Sodann erstellten sie eine Liste, in der alle Arbeitnehmer, die in diesen Kostenstellen beschäftigt waren, erfasst wurden. Dabei wurden entsprechend der Regelung in der BV 33/04 fünf Altersgruppen gebildet, nämlich die Altersgruppen A 1 (bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres), A 2 (bis zur Vollendung des 35. Lebensjahres), A 3 (bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres), A 4 (bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres) sowie A 5 (älter als 55). Aus dieser Zusammenstellung wurde wiederum eine Liste der konkret vergleichbaren Arbeitnehmer dieser Kostenstellen erstellt, in der – abermals geordnet nach Altersgruppen – die vergleichbaren Arbeitnehmer in der Reihenfolge aufgeführt waren, wie sie sich aufgrund der Punktevergabe gemäß der Auswahlrichtlinie unter Ziffer 4 b der BV 33/04 (Bl. 25 d. A.) ergaben. Nach dieser Liste für die Werkzeugmacher III, Vorrichtungsbauer II, Anreißer I und Lehrenbauer I, auf die Bezug genommen wird (Bl. 203 d. A.), war der Kläger an 13. Stelle der Altersgruppe A 4 mit 93,5 Sozialpunkten aufgeführt. Die Betriebspartner nahmen die auf dieser Liste mit einem Kreis gekennzeichneten Arbeitnehmer L., B., Bi. mit und S. aus der Sozialauswahl heraus. Der Arbeitnehmer B. ist Ersatzmitglied des Betriebsrates. Er hat seit der letzten Wahl regelmäßig an Betriebsratssitzungen teilgenommen, so auch an den Verhandlungen über die BV 33/04 als Mitglied der Verhandlungskommission des Betriebsrats. Ob er im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs mit Namensliste den besonderen Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied genoss, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Der Arbeitnehmer L. wurde von den Betriebspartnern aufgrund besonderer Kundenkontakte und Kenntnisse in der Ersatzteilbeschaffung, wie sie sich im Einzelnen aus den Ausführungen der Beklagten auf Seite 10 f. der Berufungsbegründung (Bl. 251 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird, ...