Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsbereich i.S.d. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Anderer Arbeitsbereich bei Zuweisung einer Arbeit im 12 km entfernten Betriebsteil
Leitsatz (amtlich)
1. Allein die Zuweisung von Arbeit an einem 12 km entfernten Betriebsteil innerhalb derselben politischen Gemeinde stellt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG dar, die bei Überschreitung von einem Monat die Zustimmungspflicht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG auslöst.
2. Dies gilt selbst dann, wenn sich weder die Arbeitsaufgabe noch die Verantwortung noch die Eingliederung in die Organisation ändern.
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitsbereich i.S.d. § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG umfasst die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und fachlich zu verstehen. Er umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz innerhalb der betrieblichen Organisation.
2. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsorts, 12 km entfernt vom bisherigen Einsatzort, gibt der Tätigkeit ein anderes Gesamtgepräge. Es liegt kein Bagatellfall vor, bei dem der Arbeitsort wegen der entsprechenden Nähe als vernachlässigbar anzusehen wäre.
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3, § 81 Abs. 1 S. 1, § 99 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 30.11.2020; Aktenzeichen 3 BV 19/20) |
Tenor
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2.) und 3.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 30.11.2020, Az. 3 BV 19/20, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt lautet:
1. Den Beteiligten zu 2.) und 3.) wird aufgegeben, die zum 01.03.2020 angeordnete Umsetzung der Arbeitnehmerin W... vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
2. Den Beteiligten zu 2.) und 3.) wird aufgegeben, die zum 01.03.2020 angeordnete Umsetzung des Arbeitnehmers C... vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
3. Den Beteiligten zu 2.) und 3.) wird aufgegeben, die zum 01.03.2020 angeordnete Umsetzung des Arbeitnehmers H... vom Standort Nord zum Standort Süd aufzuheben.
II. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird für die Beteiligten zu 2.) und 3.) zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der Arbeitgeber eines gemeinsamen Betriebs, mehrere Umsetzungen von Mitarbeitern aufzuheben.
Die Beteiligten zu 2.) und 3.) betreiben einen gemeinsamen Betrieb hinsichtlich der im Service für die Kliniken N...-Nord und N...-Süd beschäftigten Mitarbeiter. Diese Mitarbeiter stehen zum Teil im Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 2.), zum Teil im Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 3.). Der Beteiligte zu 1.) ist der für diesen Servicebetrieb gewählte 15-köpfige Betriebsrat.
Für den Servicebetrieb werden jeweils Rahmendienstpläne für drei Monate abgeschlossen, und zwar einheitlich für sämtliche Beschäftigten des Servicebetriebes. Die Beschäftigten W..., C... und H... sind in diesem Betrieb im Bereich des Kranken- und Warentransportes beschäftigt, die Beschäftigten W... und C... bisher mit Tätigkeiten im Klinikum N... Süd, der Beschäftigte H... mit Tätigkeiten im Klinikum N... Nord. In Ausfüllung dieser Rahmendienstpläne werden Einzeldienstpläne vom Abteilungsleiter bzw. den jeweiligen Vorgesetzten erstellt, die der Betriebsrat einsehen kann. Eine gesonderte Genehmigung dieser Einzeldienstpläne erfolgt dann nicht mehr.
Der Abteilungsleiter K... teilte die Beschäftigten W... und C... ab dem Zeitraum 01.03.2020 zu Tätigkeiten im Klinikum N... Nord, den Beschäftigten H... zu Tätigkeiten im Klinikum Süd ein.
Der Beteiligte zu 1.) rügte diese Neueinteilungen und erklärte, seiner Auffassung nach handle es sich beim Wechsel der Kliniken in N... um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung. Dies folge bereits daraus, dass sich der räumliche Einsatzort ändere. Im Übrigen seien auch die Standorte unterschiedlich aufgebaut. Die Beteiligten zu 2.) und 3.) haben die Auffassung vertreten, es lägen keine Versetzungen im Sinne des § 99 BetrVG vor, so dass eine Beteiligung des Betriebsrats nicht erforderlich sei.
Mit Antrag vom 06.04.2020, beim Arbeitsgericht eingegangen am selben Tag, hat der Beteiligte zu 1.) Aufhebung der "Versetzungen" der drei Mitarbeiter begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, es handle sich um nach § 95 Abs. 3, § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahmen. Dies hätten auch die Beteiligten zu 2.) und 3.) früher so gehandhabt. Der Arbeitsbereich werde durch den Wechsel des Einsatzortes geändert; die Änderung sei für mehr als einen Monat geplant.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:
1. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung der Frau W... ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
2. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn C... ab dem 01.03.2020 vom Standort Süd zum Standort Nord aufzuheben.
3. Den Antragsgegnerinnen wird aufgegeben, die Versetzung des Herrn H... ab dem 01.03.2020 vom Standort S...