Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifverträge. Unionsrechtliches Verständnis zum Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer. Keine Anwendung des § 3 S. 1 MiLoG sowie § 9 S. 3 AEntG für nicht vom AEntG erfasste Branchen
Leitsatz (amtlich)
1. Art 5 Abs. 3 EU-LeiharbeitsRL erlaubt die Abweichung vom in Art. 5 Abs. 1 EU-Leiharbeitsrichtlinie geregelten Gleichstellungsgrundsatz auch durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge, soweit diese den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen achten.
2. Mit Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EU-Leiharbeitsrichtlinie ist die Einhaltung einer allgemeinen Untergrenze der Arbeitsbedingungen gemeint, die über die für alle Arbeitnehmer geltenden Mindeststandards hinausgeht. Diese Untergrenze ist beim zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V (BAP) und den Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) abgeschlossenen Tarifwerk eingehalten.
3. Auf Arbeitsverträge mit Leiharbeitnehmern, die nicht in einer vom AEntG oder von einer auf Grund des AEntG erlassenen Rechtsverordnung erfassten Branche beschäftigt werden oder werden sollen, finden weder § 3 Satz 1 MiLoG noch § 9 Satz 3 AEntG Anwendung. Da im AÜG oder einer auf Grund des § 3a AÜG erlassenen Rechtsverordnung eine vergleichbare Vorschrift fehlt, verstößt die Vereinbarung von arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen, die einen Anspruch auf Mindestlohn nicht ausnimmt, nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Leitsatz (redaktionell)
Da Art. 5 Abs. 3 EU-Leiharbeitsrichtlinie keine Vorgabe dazu enthält, unter welchen Voraussetzungen die Tarifverträge in den Leiharbeitsverhältnissen Anwendung finden, umfasst der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten auch die Einführung von so genannten Erstreckungsklauseln zur arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die abweichenden Tarifverträge, um eine Umsetzung entsprechend dem nationalen Recht und nationalen Gepflogenheiten zu ermöglichen.
Normenkette
RL 2008/104/EG Art. 5 Abs. 3; AÜG §§ 3a, 8, 3a Fassung: 2017-03-31, § 9 Nr. 2 Fassung: 2017-03-31, § 10 Abs. 4 Fassung: 2017-03-31; MiLoG § 1 Abs. 3, § 3 S. 1; AEntG §§ 8, 9 S. 3; TVG § 4 Abs. 4 S. 3; BGB §§ 307 ff.; GRCh Art. 28; EU-LeiharbeitsRL Art. 3 Abs. 1 Buchst. f); BGB § 305 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 08.05.2018; Aktenzeichen 2 Ca 1248/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 08.05.2018, Aktenzeichen: 2 Ca 1248/17, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die beiden Parteien streiten über Entgeltdifferenzansprüche der Klägerin wegen des Gleichstellungsgrundsatzes nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ("Equal-Pay"). Die Klägerin war vom 04.04.2016 bis 04.04.2017 als Hilfsarbeiterin ohne nähere Tätigkeitsangabe beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 01.04.2016 (Bl. 47 ff d.A.). Der Arbeitsvertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen
"...
§ 1 Bezugnahme auf den Tarifvertrag
(1) Die Rechte und Pflichten der Parteien dieses Arbeitsvertrages bestimmen sich nach den Tarifverträgen in ihrer jeweils gültigen Fassung, welche der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ) mit einer oder mehreren der Gewerkschaften IG BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG BAU, GdP, EVG geschlossen hat oder zukünftig schließen wird. Da insoweit mehrere Tarifverträge existieren oder zukünftig existieren können, gilt zur Ermittlung der jeweils anwendbaren Tarifverträge Folgendes:
• Bis zum Beginn des ersten Einsatzes finden die Tarifverträge Anwendung, an denen die Gewerkschaft ver.di als Vertragspartei beteiligt ist.
• Ab Beginn des jeweiligen Einsatzes finden ausschließlich diejenigen Tarifverträge Anwendung, an denen die Gewerkschaft als Vertragspartei beteiligt ist, aus deren Satzung sich die Zuständigkeit für den Einsatzbetrieb ergibt. Sind satzungsgemäß mehrere Gewerkschaften zuständig, ist von diesen ausschließlich diejenige maßgeblich, die in obiger Aufzählung vor der/den andere/n genannt ist. Ist satzungsgemäß keine der oben genannten Gewerkschaften für den Einsatzbetrieb zuständig, finden die Tarifverträge Anwendung, an denen die Gewerkschaft ver.di als Vertragspartei beteiligt ist.
• Die ermittelten Tarifverträge finden jeweils durchgängig bis zu dem Zeitpunkt Anwendung, ab dem ein neuer Einsatz beginnt.
(2) T. wird den Mitarbeiter schriftlich informieren, welche Tarifverträge gemäß Abs. 1 Anwendung finden. Die in Abs. 1 genannten Tarifverträge sind zur Einsichtnahme durch den Mitarbeiter in den Geschäftsräumen von T. ausgelegt.
...
§ 5 Eingruppierung; Entgelt
(1) Der Mitarbeiter wird aufgrund der notwendigen Qualifikati...