Entscheidungsstichwort (Thema)
sonstiges. Versetzung zu Vivento. Beachtung kündigungrechtlicher Wertungen. Versetzung
Leitsatz (redaktionell)
Eine Versetzung in den Betrieb Vivento stellt keine Maßnahme dar, welche einer Kündigung ähnlich ist. Sie ist deshalb ausschließlich an den tarifvertraglich vereinbarten Bewertungsmaßstäben zu messen und nicht an kündigungsrechtlichen Wertungen.
Normenkette
TV Ratio § 3 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Bayreuth (Urteil vom 11.03.2004; Aktenzeichen 2 Ca 717/03 H) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth, Kammer Hof vom 11.03.2004 – Az.: 2 Ca 717/03 H – wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Urteil des Arbeitsgerichts erweist sich als richtig. Es hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Auf den Tatbestand und die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, denen sich das Berufungsgericht vorbehaltlos anschließt, wird Bezug genommen. Die von der Berufung hiergegen vorgebrachten Einwände, die das erstinstanzliche Vorbringen im Wesentlichen wiederholen, sind nicht geeignet, sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen. Nur ergänzend ist im Hinblick auf die in der Berufung vorgetragenen Argumente hinzuzufügen:
1. Entgegen der Auffassung der Berufung folgt aus § 3 Abs. 4 Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) nicht, dass für die Identifizierung der Arbeitnehmer, die wegen des unstreitigen Wegfalls von Arbeitsplätzen bei der Beklagten in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (Vivento) versetzt werden, die gleichen Kriterien wie bei der sozialen Auswahl einer betriebsbedingten Kündigung zu berücksichtigen sind. Die Klägerin verkennt zum einen, dass der TV Ratio durch das Mittel der Versetzung in die Vivento betriebsbedingte Kündigungen, die sonst unvermeidlich wären, ausschließt, zum anderen stellt die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 3 TV Ratio fest, dass es sich bei der nach Absätzen 3 und 4 vorzunehmenden Auswahlentscheidungen nicht um eine soziale Auswahl im Sinne des § 1 KSchG handelt. Welche persönlichen und sozialen Gesichtspunkte im Rahmen der Auswahlentscheidung Berücksichtigung finden müssen, ergibt sich aus der Anlage 1 und der Punktetabelle gemäß Anlage 2 zum TV Ratio. Die Auswahlkriterien sind in diesen Bestimmungen abschließend geregelt (§ 3 Abs. 4 Satz 2 TV Ratio). Nichts anderes ergibt sich auch aus Ziffer 4 der Anlage 1 zum TV Ratio. Insbesondere zwingt die in dieser Bestimmung angesprochene abschließende Einzelfallprüfung im Bezug auf besondere soziale Härten nicht dazu, eine bestehende Schwangerschaft gesondert zu berücksichtigen. Die Verpflichtung, die Belange von schwerbehinderten Menschen angemessen zu berücksichtigen – ein Kriterium, das auch in der Anlage 2 zu § 3 TV Ratio ein für die Auswahlentscheidung maßgebender Gesichtspunkt ist – verdeutlicht dies.
2. Die Nichtberücksichtigung der Schwangerschaft im Rahmen des Identifizierungsverfahrens stellt auch keinen Wertungswiderspruch zu dem mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz in § 9 MuSchG dar. Das primäre Anliegen des in Gestalt eines zeitlich befristeten absoluten Kündigungsverbotes mit Erlaubnisvorbehalt geregelten mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes besteht darin, der werdenden Mutter und der Wöchnerin trotz ihrer etwa mutterschaftsbedingten Leistungsminderung oder Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz als wirtschaftliche Existenzgrundlage zu erhalten (BAG [GS] vom 26.04.1956, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; KR-Bader, 7. Aufl., § 9 MuSchG Rz. 5, 7). Die Versetzung der Klägerin in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (Vivento) wird somit vom Bedeutungsgehalt der Bestimmung des § 9 MuSchG nicht erfasst. Soweit die Klägerin ferner darauf verweist, dass bei der Identifizierung der Arbeitnehmer die Mitgliedschaft im Betriebsrat zu Gunsten der Betroffenen Berücksichtigung fand, führt dies zu keiner anderen Wertung. Denn anders als bei Schwangerschaft besteht für Betriebsratsmitglieder gemäß § 103 Abs. 3 BetrVG ein Versetzungsschutz; es sei denn, der betroffene Arbeitnehmer ist mit der Versetzung einverstanden.
3. Schließlich begegnet es keinen Bedenken, dass der TV Ratio auch schwangere Arbeitnehmerinnen nicht aus dem persönlichen Geltungsbereich ausgenommen hat (vgl. § 2 TV Ratio). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG vom 30.08.2000, AP Nr. 25 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG vom 27.05.2004 – 6 AZR 129/03 – zur Veröffentlichung vorgesehen), dass die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung des persönlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrags keiner unmittelbaren Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG unterliegen. Sie sind vielmehr im Hinblick auf ihr insoweit vorrangig zu beachtendes Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art. ...