Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässige Berücksichtigung unterhaltspflichtiger Kinder durch einen Zusatzbetrag zur Abfindung in einem Sozialplan bei Nachweis auf der Lohnsteuerkarte bzw. im ELStAM-Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz oder ein Benachteiligungsverbot des § 1 AGG, wenn in einem Sozialplan der Anspruch auf einen Zusatzbetrag zur Abfindung für Kinder davon abhängig gemacht wird, dass der Arbeitnehmer den lohnsteuerrechtlichen Kinderfreibetrag in Anspruch nimmt (Anschluss an BAG, Urteil vom 12.03.1997 - 10 AZR 658/96 -).

 

Leitsatz (redaktionell)

Wenn der von den Betriebspartnern im Sozialplan getroffenen Regelung die Einschätzung zugrunde liegt, dass die wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer, bei denen Kinder bei lohnsteuerrechtlichen Abzugsmerkmalen erfasst sind, schwerer wiegen als bei denjenigen Arbeitnehmern, deren Kinder dort nicht erfasst sind, ist dies ausreichend sachlich begründet. Denn den zwischen den Betriebspartnern verhandelten Gesamtbetrag für den Zuschlag für Kinder haben sie dadurch stärker auf die unterhaltspflichtigen Arbeitnehmer konzentrieren können, die in besonderer Weise vom Verlust des Arbeitsplatzes betroffen sind. Diese Einschätzung und Regelung bewegt sich innerhalb des Beurteilungs- und Gestaltungsspielraumes der Betriebspartner.

 

Normenkette

BetrVG §§ 75, 112; AGG §§ 1, 3, 7; EStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nr. 6; ESrG § 38b Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 19.06.2019; Aktenzeichen 5 Ca 1299/18)

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 19.06.2019 - 5 Ca 1299/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen zusätzlichen Abfindungsbetrag für Kinder aus einem Sozialplan.

Die 1977 geborene, verheiratete und 3 Kindern unterhaltsverpflichtete Klägerin war bei der Beklagten seit 01.07.2007 am Standort G... in Teilzeit beschäftigt mit einem Bruttostundenlohn von 13,24 € bzw. einem monatlichen Tarifentgelt von 1.199,87 € brutto zuzüglich Zuschlägen. Sie wird bei der Beklagten mit der Lohnsteuerklasse 5 ohne Kinderfreibeträge geführt.

Am 23.08.2017 traf die Beklagte die unternehmerische Entscheidung, den Standort G... so bald wie möglich zu schließen. Am 11.05.2018 schlossen die Betriebspartner des Standortes G... einen Interessenausgleich und Sozialplan ab, der eine Stilllegung des Standortes und die Verlagerung der wirtschaftlichen Tätigkeit nach H... zum 30.06.2018 vorsah. Von der Maßnahme waren 321 Arbeitnehmer betroffen. Die Betriebspartner vereinbarten den Verzicht auf Beendigungskündigungen und den Ausspruch von Änderungskündigungen nach H.... Arbeitnehmer, die die Änderungskündigung akzeptierten, sollten Umzugsbeihilfe und Erstattung der Kosten für Familienheimreisen erhalten. Arbeitnehmer, die das Änderungsangebot ablehnten und deren Arbeitsverhältnis endete, sollten eine Abfindung erhalten. Die Abfindung berechnete sich nach Ziffer II. 3. c. i. des Interessenausgleiches und Sozialplanes nach der Formel Bruttomonatsgehalt x Betriebszugehörigkeit x 1,1. Ferner war in Ziffer II. 3. c. ii. des Interessenausgleiches und Sozialplanes ein Festbetrag von 1.500,00 € brutto für schwerbehinderte Arbeitnehmer und schwerbehinderten Arbeitnehmern gleichgestellte Arbeitnehmer vorgesehen. In Ziffer II. 3. c. iii. des Interessenausgleiches und Sozialplanes war schließlich vorgesehen:

"Für jedes unterhaltsberechtigte Kind erhält der Arbeitnehmer eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 1.570,00 € brutto. Es gelten die Angaben in der Lohnsteuerkarte."

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Kündigungsschreiben vom 19.07.2018 zum 30.11.2018. Die Beklagte zahlte an die Klägerin die in der Höhe von 15.269,99 € brutto unstreitige Abfindung inklusive den Schwerbehindertenzusatzbetrag aus. Den Zusatzbetrag für Kinder von 3 x 1.570,00 € brutto zahlte sie nicht.

Die Klägerin erhob daraufhin Zahlungsklage und machte in der ersten Instanz geltend,

dass es bei der Berechnung der Abfindung nicht auf die Einträge in der Lohnsteuerkarte ankommen könne.

Die Frage nach den unterhaltsberechtigten Kinder könne nicht aus den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte beantwortet werden. Aus § 38 b Abs. 2 EStG ergebe sich, dass bei der Wahl der Lohnsteuerklasse V ein Kinderfreibetrag nicht eingetragen werden könne. Rückschlüsse auf unterhaltsberechtigte Kinder seien deshalb nicht möglich.

Die Regelung in Ziffer II. 3. c. iii. des Interessenausgleiches und Sozialplanes diskriminiere mittelbar. Dies ergebe sich aus den Statistiken des statistischen Bundesamtes. Danach seien Frauen deutlich häufiger teilzeitbeschäftigt als Männer und Frauen im Niedriglohnsektor besonders stark vertreten. Bei den abfindungsberechtigten Mitarbeitern mit Kindern werde für den Anspruch auf die zusätzliche Abfindung danach unterschieden, ob zum Stichtag die Kinder auf der Lohnsteuerkarte eingetragen waren. Benachtei...

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