Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitglieds wegen angeblicher Erpressung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitglieds kommt in Betracht, wenn in dem beanstandeten Verhalten nicht nur eine Amtspflichtverletzung, sondern zugleich eine Vertragspflichtverletzung zu sehen ist. In solchen Fällen ist an die Berechtigung der fristlosen Entlassung allerdings ein strengerer Maßstab anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört.

2. Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist.

3. Ein von dem Vorsitzenden des Betriebsrats und seinem Stellvertreter unterzeichnetes Schreiben an die Arbeitgeberin, wonach zur Vermeidung einer weiteren Eskalation die Verhandlungen (hier: über eine Rufbereitschaft) fortgesetzt werden sollen, dies jedoch aus Sicht des Betriebsrats voraussetze, dass ein Zustimmungsersetzungsverfahren betreffend die Kündigung der Arbeitsverhältnisse von Mitgliedern des Betriebsrats nicht durchgeführt werde, stellt sich nicht als "Erpressung" der Arbeitgeberin dar und ist auch "an sich" nicht geeignet, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses der betreffenden Betriebsratsmitglieder zu rechtfertigen.

 

Normenkette

BetrVG § 103; BGB § 626 Abs. 1; StGB § 253

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 21.12.2018; Aktenzeichen 1 BV 19/18)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 21. Dezember 2018, Az. 1 BV 19/18, abgeändert und der Antrag zu 2) der Arbeitgeberin aus dem Schriftsatz vom 24. Juli 2018 abgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) wegen "Erpressung".

Der Beteiligte zu 3) ist 1978 geboren, ledig und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit dem 01.10.2011 bei der Arbeitgeberin als Kraftfahrer zu einem Monatsentgelt von ca. 2.900,00 EUR brutto beschäftigt. Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt bundesweit verschiedene Logistikstandorte, von denen aus sie ihre Kunden aus der Systemgastronomie mit Lebensmitteln beliefert. Sie beschäftigt an ihrem Standort in C-Stadt 124 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 2) ist der an diesem Standort gewählte siebenköpfige Betriebsrat.

In C-Stadt wählte die Belegschaft erstmals im Februar 2017 einen Betriebsrat, Ende Mai 2018 fand die regelmäßige Neuwahl statt. Der Beteiligte zu 3) rückte im Herbst 2017 für ein ausgeschiedenes Mitglied in den Betriebsrat nach, bei der Neuwahl wurde er als Betriebsratsmitglied gewählt. Die konstituierende Sitzung des neugewählten Betriebsrats fand am 01.06.2018 statt. Der Beteiligte zu 3) wurde stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, zum Vorsitzenden wurde das Betriebsratsmitglied Sch. gewählt, dem die Arbeitgeberin ebenfalls, ua. wegen "Erpressung", außerordentlich kündigen will (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 01.08.2019 - 5 TaBV 2/19). Seit Mai 2019 ist der Beteiligte zu 3) Vorsitzender und Sch. Stellvertreter. Der frühere Betriebsratsvorsitzende J. wurde nicht mehr zum Vorsitzenden gewählt; er legte sein Betriebsratsamt daraufhin noch in der konstituierenden Sitzung am 01.06.2018 nieder.

Im Betrieb in C-Stadt ist die Gewerkschaft ver.di vertreten. Gewerkschaftssekretär H. verfasste einen Aushang vom 20.04.2018, der ua. folgenden Wortlaut hat (Bl. 247 d.A. 5 TaBV 2/19):

"Union Busting bei A.???

...

Wie kommen wir dazu, so etwas bei A. zu unterstellen?

Aktion 1:

Betriebsratswahl verhindern

Nun ja, es fing damit an, dass der Versuch unternommen wurde, die Betriebsratswahl zu verhindern. Erst durch ein Gerichtsverfahren konnte die Durchführung der Wahl erzwungen werden.

Aktion 2:

Unliebsames Betriebsratsmitglied kündigen ...

Aktion 3:

Unbeugsamen Betriebsratsvorsitzenden angehen ...

Ziel

Verhinderung von Haustarifverhandlungen? ..."

Mit Datum vom 18.05.2018 gab Gewerkschaftssekretär H. auf Aufforderung der Arbeitgeberin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Er verpflichtete sich, folgende Aussagen weder wörtlich noch sinngemäß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:

"Die [Arbeitgeberin] hat versucht, die Betriebsratswahl 2017 zu verhindern" und "Die Betriebsratswahl 2017 konnte erst durch ein Gerichtsverfahren erzwungen werden".

Vor der Wahl eines Betriebsrats in C-Stadt regelte die Arbeitgeberin die Rufbereitschaft einseitig durch eine Richtlinie. Die Rufbereitschaft ist für sie äußerst wichtig, damit sie die mit ihren Kunden vereinbarte Liefertreue, die teilweise durch Konventionalstrafen abgesichert ist, auch einhalten kann, w...

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