Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Grenzen der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Anforderungen an die Beschleunigung der Sachverhaltsaufklärung
Leitsatz (redaktionell)
Lässt der Arbeitgeber im Vorfeld einer außerordentlichen Kündigung Vorwürfe gegen einen Arbeitnehmer durch eine externe Compliance-Stelle klären, so ist die Kenntnis einer solchen Compliance-Stelle den kündigungsberechtigten Personen i.S. von § 626 Abs. 2 BGB zuzurechnen, da anderenfalls allein durch die Beauftragung einer externen Stelle die Frist des § 626 Abs. 2 BGB willkürlich hinaus gezögert oder umgangen werden könnte.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 11.04.2019; Aktenzeichen 6 Ca 603/18) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern, Auswärtige Kammern Pirmasens, vom 11.04.2019, Az.: 6 Ca 603/18, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sein Ende gefunden hat oder aber fortbesteht, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtstreits weiter zu beschäftigen sowie schließlich darüber, ob das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung durch gerichtliche Entscheidung aufzulösen ist.
Der schwerbehinderte 52jährige verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.09.1982, zuletzt als Direktor Qualitätsmanagement in deren Betrieb in Zweibrücken beschäftigt. Zusätzlich wurde er mit der Betreuung ausgewählter Key-Accounts betraut. Der Kläger wird bei der Beklagten als leitender Angestellter geführt und war bei der letzten Betriebsratswahl im Frühjahr 2018 dem Kreis der leitenden Angestellten zugeordnet.
Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen des zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Vorfälle US-amerikanischen Baumaschinenherstellers T. C. mit Sitz in Dortmund und ist auf die Produktion von Industriekränen spezialisiert. Zu diesem Zweck betreibt sie u.a. ein Werk in Zweibrücken. Im Betrieb in Zweibrücken sind regelmäßig ca. 1400 Mitarbeiter beschäftigt. Ein Betriebsrat ist errichtet.
Am 05. und 12.09.2018 fand eine Anhörung des Klägers zu den vorliegend streitgegenständlichen Kündigungsvorwürfen, die die Beklagte gegen ihn erhebt, durch ein unternehmensexternes Compliance-Team durch Herrn M. statt. Im Anschluss daran wurde der Kläger ab dem 12.09.2018 von der Beklagten von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
Mit Schreiben vom 23.11.2018 hat die Beklagte den Betriebsrat zu einer außerordentlichen fristlosen und hilfsweise fristgerechten Kündigung zum nächstmöglichen Termin vorsorglich für den Fall angehört, dass es sich bei dem Kläger tatsächlich nicht um einen leitenden Angestellten i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG handeln sollte. Dieses Schreiben ging dem Betriebsrat am 23.11.2018 zu; mit Schreiben vom 26.11.2018 widersprach der Betriebsrat einer fristlosen Kündigung des Klägers und mit Schreiben vom 29.11.2018 auch einer ordentlichen Kündigung.
Mit Schreiben vom 23.11.2018, eingegangen beim Integrationsamt am selben Tag, hat die Beklagte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses beantragt. Ebenfalls mit Schreiben vom 23.11.2018, eingegangen beim Integrationsamt am 23.11.2018, hat die Beklagte des Weiteren die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers beantragt. Das Integrationsamt hat mit Bescheid vom 07.12.2018 der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Daraufhin hat die Beklagte mit Schreiben vom 08.12.2018 das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich mit sofortiger Wirkung gekündigt; hinsichtlich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 4 d. A. Bezug genommen. Mit Bescheid vom 28.02.2019 hat das Integrationsamt auch der ordentlichen Kündigung des Klägers zugestimmt; daraufhin hat die Beklagte mit Schreiben vom 08.03.2019 das Arbeitsverhältnis des Klägers hilfsweise ordentlich zum 31.10.2019 gekündigt.
Der Kläger hat vorgetragen,
die Beklagte habe die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die Beklagte habe vorgetragen, sie habe erstmals am 21.06.2018 Kenntnis von den kündigungsrelevanten Umständen aufgrund einer anonymen Anzeige erhalten. Die außerordentliche Kündigung sei am 12.12.2018, also 25 Wochen nach Kenntniserlangung durch die angebliche anonyme Anzeige zugestellt worden. Die Behauptung der Beklagten, das Compliance-Team sei seit dem 26.06.2018 "mit Ermittlungen in dieser Sache tätig", sei nicht hinreichend substantiiert und zudem zu bestreiten. Nach den Anhörungen am 5. und 12.09.2018 habe das Compliance-Team noch fast zwei Monate benötigt, um einen abschließenden Bericht zu erstellen und der Beklagten am 09.11.2018 zu überlassen. Er bestreite mit Nichtwissen, dass das Compliance-Team überhaupt einen Bericht erstellt habe, vorsorglich bestreite er mi...