Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung einer Schwangeren mit besonderem Risiko wegen Diabetes Mellitus Typ 1. Zahlung zu geringen Lohns als diskriminierende Handlung und nicht bloßer Streit um Berechnungsmethode. Keine Schädigungsabsicht bei AGG erforderlich
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Arbeitnehmerin erhält eine Entschädigung von 1000 Euro, wenn sie während des Beschäftigungsverbots einen zu geringen Lohn erhält.
2. Für die Entschädigung nach AGG kommt es nicht auf Verschulden oder eine Schädigungsabsicht an.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2, § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 20.08.2020; Aktenzeichen 3 Ca 85/20) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 20. August 2020, Az. 3 Ca 85/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft sowie wegen der Schwerbehinderung zu zahlen.
Die 1985 geborene Klägerin ist seit dem 15.04.2015 bei der Beklagten, einer Immobilienmaklerin in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als Immobilienberaterin in Vollzeit angestellt. Die Parteien haben im schriftlichen Arbeitsvertrag eine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden und erfolgsabhängige Provisionen für den Verkauf von Objekten vereinbart. Die monatliche Vergütung soll jedoch mindestens € 1.200,00 netto betragen. Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung der Klägerin betrug € 2.834,74.
Die Klägerin ist mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Sie ist Mutter von zwei Kindern, die am 02.08.2016 und am 07.02.2020 geboren sind. Wegen ihrer Behinderung lagen zwei Risikoschwangerschaften vor, weshalb ärztliche Beschäftigungsverbote iSd. § 3 Abs. 1 MuSchG aF, § 16 Abs. 1 MuSchG nF ausgesprochen wurden.
Die Klägerin nahm für das erste Kind zunächst Elternzeit bis zum 31.10.2018 in Anspruch. Einer gewünschten Verlängerung bis zum 31.01.2019 stimmte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 18.12.2018 zu. Einen erneuten Antrag für die Zeit bis zum 31.03.2019 lehnte die Beklagte ab. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin forderte die Beklagte unter dem 11.01.2019 auf, die Zustimmung zu erteilen, hilfsweise beantragte er eine zweite Elternzeitperiode für die Zeit vom 05.03. bis zum 04.06.2019 und für die Zwischenzeit die Gewährung von Urlaub. Die Zustimmung erfolgte nicht. Im eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahren einigten sich die Parteien in einem Vergleich, dessen Zustandekommen das Arbeitsgericht Mainz am 20.02.2019 (8 Ga 4/19) festgestellt hat, darauf, dass der Klägerin für die Zeit vom 01.02. bis zum 04.03.2019 Erholungsurlaub gewährt wird.
Mit Schreiben vom 28.02.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.03.2019. Mit Schreiben vom 21.07.2019 kündigten sie erneut zum 31.08.2019. Am 22.07.2019 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie erneut schwanger sei. Sie befand sich laut ärztlicher Schwangerschaftsbescheinigung vom 01.08.2019 in der 12. Schwangerschaftswoche. Als voraussichtlicher Geburtstermin war der 18.02.2020 genannt. Die Klägerin erhob gegen beide Kündigungen Klage. Das Arbeitsgericht Mainz hat mit - rechtskräftigem - Urteil vom 05.09.2019 (9 Ca 367/19) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 28.02.2019 und vom 19.07.2019 nicht aufgelöst worden ist. Die erste Kündigung verstoße gegen das Kündigungsverbot des § 18 Abs. 1 BEEG, die zweite gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG.
Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses forderte die Beklagte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 20.08.2019 auf, ihre Arbeit am Montag, dem 26.08.2019, um 9: 00 Uhr wieder aufzunehmen. Die Klägerin kam dem nach. Da sie bereits einen Termin beim Frauenarzt um 11: 00 Uhr vereinbart hatte, nahm sie diesen wahr. Die Beklagte erteilte ihr wegen der Wahrnehmung des Arzttermins während der Arbeitszeit eine Abmahnung. Die Klägerin wurde vom Frauenarzt ab dem 26.08. bis zum 11.10.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben; seit dem 14.10.2019 bestand ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG. Nach der Geburt des zweiten Kindes am 07.02.2020 nahm die Klägerin erneut Elternzeit.
Die Beklagte übersandte der Klägerin Gehaltsabrechnungen für die Monate Juni bis August 2019. Sie rechnete nur das Grundgehalt von € 1.200,00 netto ab. Auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 26.08.2019 und den Mutterschutzlohn ab 14.10.2019 rechnete sie auf der Basis des Grundgehalts von € 1.200,00 netto ab. Sie vertrat den Standpunkt, dass durch die Arbeitsaufnahme am 26.08.2019 eine Zäsur eingetreten sei, so dass sich die Provisionsansprüche nach den an diesem Tag verdienten Provisionen (und damit null) berechneten. Während der einstündigen Arbei...