Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung eines monatlichen Krankengeldzuschusses und einer Jahressonderzahlung nach rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tarifvertragsparteien sind nicht befugt, in Tarifverträgen mit Wirkung für die Tarifunterworfenen wirksam über unbestimmte Ansprüche auf Sozialleistungen in Geld, deren Verkehrsfähigkeit § 53 SGB I abschließend und unabdingbar öffentlich-rechtlich regelt, zu verfügen und damit das Gesamtgefüge der öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüche (§§ 102 ff. SGB X) zu umgehen. Die tarifliche Regelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Hs. 2 TV-L ist insoweit unwirksam.
2. Soweit der Arbeitgeber gemäß § 22 Abs. 4 Satz 4 TV-L nach freiem Ermessen entscheiden kann, ob er von der Rückforderung absieht, muss diese Entscheidung nicht billigem Ermessen entsprechen; seine Entscheidungsbefugnis wird nur durch die Grenze der Willkür eingeschränkt.
3. Neben dem tariflichen Rückforderungsanspruch des § 22 Abs. 4 Satz 4 TV-L findet das gesetzliche Bereicherungsrecht keine Anwendung.
Normenkette
TV-L § 22 Abs. 4 S. 2, 3
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 07.06.2023; Aktenzeichen 4 Ca 2949/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 07.06.2023, Az. 4 Ca 2949/22, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückforderung eines monatlichen Krankengeldzuschusses und einer Jahressonderzahlung nach rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die Beklagte war seit dem 01.12.1984 beim klagenden Land beschäftigt, auf das Arbeitsverhältnis fand der TV-L Anwendung. Seit dem 04.01.2021 war die Beklagte dauerhaft erkrankt. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall endete am 14.02.2021. Die Beklagte erhielt in der Zeit vom 15.02.2021 bis zum 03.10.2021 einen Krankengeldzuschuss.
Zum 30.11.2021 erhielt die Beklagte eine Jahressonderzuwendung.
Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 08.11.2021, den die Beklagte dem klagenden Land am 01.12.2021 vorlegte, wurde der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zum 01.02.2021 bewilligt. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete gemäß § 33 Abs. 2 TV-L mit Ablauf des 30.11.2021. Der Rentennachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01.02. bis 30.11.2021 betrug 14.741,90 €.
Mit Schreiben vom 25.01.2022, wegen dessen Inhalts im Übrigen auf Bl 53 f. d. A. Bezug genommen wird, teilte das klagende Land der Beklagten mit, dass durch die rückwirkende Gewährung der Rente eine Überzahlung entstanden sei, die sich durch die gleichzeitige Erstattung der Arbeitnehmerbeiträge mindere. Die Rückforderung betrage daher 4.325,10 € (netto). Die Beklagte wurde zur Überweisung dieses Betrages aufgefordert.
Die Bezügemitteilung Nr. 1/2022 (Bl. 5 ff. d. A.) weist zu Lasten der Beklagten eine Forderung in Höhe von 4.325,10 € aus, die Bezügemitteilung Nr. 2/2022 (Bl. 13 ff. d. A.) nach einer "Aufrechnung aus Vormonat" mit einer "Nachzahlung" ("Corona-Sonderzahlung") in Höhe von 1.300,00 € noch eine Forderung in Höhe von 3.025,10 €.
Mit Schreiben vom 03.03.2022 an das L. (Bl. 55 d. A.) überreichte der Bevollmächtigte der Beklagten eine Vollmacht, wegen deren Inhalts auf Bl. 56 d. A. Bezug genommen wird.
Unter dem 11.03.2022 (Bl. 57 f. d. A.) wandte sich das L. den Beklagtenvertreter und erläuterte den Grund für die Rückforderung. Es führte abschließend aus: "Aufgrund der Corona-Sonderzahlung i.H.v. 1.300,00 € (vgl. Bez.M. 02/2022) hat sich der Überzahlungsbetrag auf 3.025,10 € ermäßigt").
Mit Schreiben vom 07.10.2022 an den Klägervertreter (Bl. 16 f. d. A.) forderte das klagende Land die Beklagte unter letztmaliger Fristsetzung zum 15.11.2022 zur Zahlung von 3.025,10 € auf.
Da keine Zahlung seitens der Beklagten erfolgte, erhob das klagende Land die vorliegende, am 15.12.2022 beim Arbeitsgericht eingegangene, der Beklagten am 23.12.2022 zugestellte Klage.
Das klagende Land war der Ansicht,
wegen der rückwirkenden Rentenbewilligung seien der Krankengeldzuschuss sowie die Jahressonderzahlung ohne Rechtsgrund gezahlt worden. Eine Verrechnung mit Leistungen der Rentenversicherung und Zusatzversorgung sei ihm nicht möglich gewesen, weil zum einen nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.01.2014 (B 5 R 36/12 R) die Forderung entgegen den inhaltsgleichen Regelungen in § 22 Abs. 4 Satz 4 TVöD und § 22 Abs. 4 Satz 4 TV-L nicht auf es übergegangen sei. Zum anderen habe ein Erstattungsbetrag bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nicht zur Verfügung gestanden, weil insoweit die Rentenzahlung für den Zeitraum ruhe. Zahlungen seien weder von der Deutschen Rentenversicherung noch von der VBL erfolgt. Auch habe die Beklagte die Auszahlung des Betrages an ihn nicht bei der DRV veranlasst.
Der Rückforderungsbetrag ergebe sich aus der Bezügemitteilung 1/2022 vom 19.01.2022 und habe sich zunächst auf 4.325,10 € belaufen. Zurückgefordert w...