Entscheidungsstichwort (Thema)
Frist zur Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung. Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Gebot "fairen Verhandelns" als vertragliche Nebenpflicht. Kein Sonderkündigungsschutz wegen Schwerbehinderung bei Aufhebungsvertrag. Kein Präventionsverfahren vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einem schwerbehinderten Menschen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. Hierfür ist der Zeitpunkt der Entdeckung der Täuschung maßgeblich.
2. Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst. Dazu reicht es nicht aus, dass sich der Erklärungsgegner in einer psychisch erschwerten Situation befindet.
3. Wird dem Arbeitnehmer beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages eine ausreichende Bedenkzeit gewährt und wird er über die möglichen sozialrechtlichen Folgen aufgeklärt, ist das Gebot "fairen Verhandelns" gewahrt.
4. Die Zustimmung des Integrationsamts ist als Sonderkündigungsschutz bei schwerbehinderten Menschen nur bei Kündigungen erforderlich, nicht aber bei Aufhebungsverträgen. Auch bedarf es vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem schwerbehinderten Menschen keines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX.
Normenkette
BGB §§ 123-124, 313; EGRL 2000/78 Art. 5 Fassung: 2000-11-27; BGB § 241 Abs. 2; AGG § 7 Abs. 1; SGB IX a.F. § 84 Abs. 1, §§ 85, 91, 95 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 02.05.2018; Aktenzeichen 2 Ca 1728/17) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 2. Mai 2018, Az. 2 Ca 1728/17, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers, hilfsweise seine Wiedereinstellung in Teilzeit.
Der 1967 geborene Kläger (geschieden, zwei Kinder) ist promovierter Chemiker. Er war seit August 2007 bei der Beklagten in Vollzeit als NMR-Manager beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsgehalt betrug laut Abrechnung für April 2011 € 5.652,00. Zusätzlich zahlte ihm die Beklagte einen Jahresbonus, der sich für das Jahr 2010 auf € 8.603,00 brutto belief. Die Beklagte beschäftigte im Jahr 2014 ca.180 Arbeitnehmer; es bestand ein Betriebsrat.
Der Kläger war seit Juni 2011 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Rahmen einer chemotherapeutischen Behandlung bei akuter myeloischer Leukämie ist es zu einer intrazerebralen Blutung gekommen, die zu erheblichen neurologischen Syndromen (Hemiparese, Feinmotorik- und Koordinationsstörungen, Wortfindungsstörung, Verlangsamung des Sprachflusses, Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit, Minderbelastbarkeit) geführt hat. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 80 oder 100. Die Deutsche Rentenversicherung Bund zahlt ihm - ab einem nicht vorgetragenen Zeitpunkt - eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auf seinen Antrag vom 20.09.2013 wurde die Rente auf Zeit zunächst "über den bisherigen Befristungszeitpunkt" ab 01.03.2014 bis 30.10.2016 verlängert; auf einen weiteren Antrag vom 19.05.2016 ab 01.11.2016 bis 30.10.2019.
In der Zeit vom 04.03. bis 19.04.2013 fand im Betrieb der Beklagten eine Arbeitserprobung statt. Vom 11.11.2013 bis 21.12.2013 nahm der Kläger auf Veranlassung des Rentenversicherungsträgers an einem medizinischen Heilverfahren in einem neurologischen Rehabilitationszentrum teil. Er wurde arbeitsunfähig entlassen. Im vorläufigen Entlassungsbericht mit Datum vom 25.11.2013, den der Kläger der Beklagten erstmals im vorliegenden Rechtsstreit (Anlage zum Schriftsatz vom 05.04.2018) vorlegte, heißt es ua.:
"Sozialmedizinische Beurteilung:
Die Entlassung erfolgt arbeitsunfähig bis zur innerbetrieblichen Klärung. Es bestehen multiple Beeinträchtigungen, die zu Leistungseinschränkungen führen. Die Anforderungen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als NMR-Manager entsprechen jedoch bis auf den Stundenumfang weitgehend dem positiven und negativen Leistungsvermögen, die erforderliche Fachkompetenz erscheint erhalten, so dass [der Kläger] für dieses spezielle Arbeitsfeld der NMR-Spektroskopie über 3 bis unter 6 Stunden am Tag leistungsfähig ist. Wir empfehlen daher die innerbetriebliche Umsetzung auf einen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz unter ambulanter neuropsychologischer Begleitung. Es besteht bereits ein wohnortnaher Kontakt zu einem niedergelassenen Neuropsychologen."
Am 23.05.2014 fand zwischen dem Kläger und dem Personalleiter der Beklagten ein Gespräch statt, das die Frage der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zum Gegenstand hatte. Mit Datum vom 02.06.2014 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein schriftliches Angebot. Das Anschreiben, dem das Angebot beigefügt war, lautet a...