Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsänderung. unternehmerische Entscheidung. Arbeitsplatzwegfall. Wiedereinstellungsanspruch. Aufhebungsvertrag. Anfechtung. arglistige Täuschung. Abfindung. Geschäftsgrundlage. Freistellung. Urlaubsabgeltung. Wiedereinstellungsanspruch nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages auf Basis eines Sozialplans. Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Aufhebungsvertrag zur Verhinderung betriebsbedingter Kündigung bei Fortbestand des Arbeitsplatzes infolge nur vorübergehender Standortverlagerung. unbegründete Wiedereinstellungsklage einer Angestellten im Fährbetrieb bei sozialplanbedingter Abfindungszahlung. unbegründeter Abgeltungsanspruch bei unterlassener Selbstgewährung des Urlaubs nach Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Erläutert der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in einem Personalgespräch aus Anlass einer durch Sozialplan und Interessenausgleich begleiteten Betriebsänderung die unternehmerische Entscheidung und ihre Folgen für den klägerischen Arbeitsplatz, braucht er nicht gesondert darauf hinzuweisen, dass in einem Unternehmen, das durch eine große juristische Person geführt wird, rein theoretisch aktuelle unternehmerische Strategien und daraus abgeleitete Maßnahmen wegen personellen Wechsels auf der Ebene der Entscheidungsträger einem Wandel unterliegen können. Daher kann das Unterlassen eines solchen Hinweises keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) begründen.
2. Nach § 779 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. - Der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt muss auf Tatsachen beruhen. Prognosen über die zukünftige Entwicklung sind keine Tatsachen in diesem Sinne. Tatsachen sind nur die Umstände, auf denen eine Prognose aufbaut (BAG 28. Juni 2000 - 7 AZR 904/98 - BAGE 95, 171 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = DB 2000, 2171). Stellt sich die Prognose später als falsch heraus, berührt das die Grundlage des Vergleichs nur, wenn aus diesem Anlass auch ein Irrtum hinsichtlich der Prognosegrundlagen (Indiztatsachen) zu Tage tritt.
3. Auch bei einem Aufhebungsvertrag kann es etwas Ähnliches wie einen Wiedereinstellungsanspruch geben. Allerdings ist die rechtliche Konstruktion des Anspruchs eine etwas andere. Kommt es auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, ist dieser Vertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen, wenn sich in der Zeit zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und dem vereinbarten Vertragsende unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer ergibt. Die Vertragsanpassung kann dabei auch zu einer Wiedereinstellung führen (BAG 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07 - AP Nr. 40 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag = NZA 2008, 1148; BAG 28. Juni 2000 aaO.; BAG 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - BAGE 85, 194).
4. Selbst dann, wenn die Geschäftsgrundlage für einen Aufhebungsvertrag weggefallen ist, kommt eine Wiedereinstellung nur in Betracht, wenn das Festhalten am Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer unzumutbar ist. Bei dieser Bewertung spielt es eine entscheidende Rolle, inwieweit man in der gezahlten Abfindung einen gerechten Ausgleich für die Nachteile der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sehen kann (wie BAG 8. Mai 2008 aaO.).
5. Wird ein Arbeitnehmer unter Anrechnung auf den Resturlaubsanspruch von der Pflicht zur Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt, kann darin je nach Lage des Einzelfalles eine Übertragung der Befugnis zur Urlaubsgewährung vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer liegen, für deren Erfüllung er selbst verantwortlich ist. Unterlässt er dann, sich den Urlaub zu erteilen, kann er sich nach § 242 BGB nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht darauf berufen, es sei noch offener Urlaub abzugelten.
Normenkette
BUrlG § 7; BGB §§ 242, 779, 313; KSchG § 1; BGB §§ 123, 611 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 28.04.2011; Aktenzeichen 2 Ca 1741/10) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die lange Jahre in A-Stadt tätig gewesene Klägerin hat mit der Beklagten zur Abwendung einer betriebsbedingten Versetzung nach P. auf der Insel F. einen Aufhebungsvertrag mit Abfindungszahlung geschlossen, den sie später angefochten hat. Sie begehrt die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, hilfsweise die Wiedereinstellung und nochmals hilfsweise Urlaubsabgeltung.
Die 1959 geborene Klägerin ist seit 1993 bei der Beklagten in der Verwaltung beschäftigt. Sie erzielte zuletzt eine monatliche B...