Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich Kündigungsgründen im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 05.07.2023; Aktenzeichen 12 Ca 3106/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 5. Juli 2023, Az. 12 Ca 3106/22, abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.
Der 1973 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 20. Februar 1995 bei der Beklagten als Maschinenführer in der Abteilung Rohr-/Gitterfertigung zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von zuletzt € 4.000,00 im Schichtbetrieb beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Werk in C-Stadt über 1.000 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.
Die Beklagte erteilte dem Kläger in den Jahren 2021 bis 2022 insgesamt sechs Abmahnungen: In der ersten Abmahnung vom 12. Januar 2021 warf sie ihm vor, sich unter Missachtung der Sicherheitsvorschriften am 5. Januar 2021 in der Nachtschicht bei laufender Maschine in der Anlage SGS 17 im Sicherheitsbereich aufgehalten zu haben. In der zweiten Abmahnung vom 1. März 2021 sowie in der fünften Abmahnung vom 7. Februar 2022 rügte sie Verstöße gegen das Rauchverbot und die Brandschutzordnung, weil der Kläger am 18. Januar 2021 bzw. am 30. und 31. Januar 2022 außerhalb der speziell ausgewiesenen Raucherplätze im Außenbereich geraucht haben soll. In der dritten Abmahnung vom 27. Mai 2021 erhob sie den Vorwurf, der Kläger habe in der Nachtschicht vom 7. zum 8. April 2021 Fertigungsaufträge fehlerhaft durchgeführt und die Fertigungsselbstprüfung nicht dokumentiert. In der vierten Abmahnung vom 30. Januar 2022 warf sie dem Kläger vor, am 30. Januar 2022 unter Verstoß gegen die Arbeitssicherheitsvorschriften im Bereich Rohr-, Gitterfertigung seine private Tasche mit an die von ihm bediente Maschine genommen zu haben, obwohl er erst am 28. Januar 2022 zum Thema "Taschen und Lebensmittel im Produktionsbereich" geschult worden sei. In der sechsten Abmahnung vom 25. August 2022 hielt sie dem Kläger vor, sich am 30. Juni 2022 während der Nachtschicht an der Gittermatten-Schweißanlage bei laufender Maschine in der Anlage im Sicherheitsbereich aufgehalten habe. Er sei bei laufender Anlage auf einen Querträger geklettert, um Rollen mit einer Spraydose zu ölen. Dies sei streng verboten.
Die Kündigung stützt die Beklagte zum einen auf den Vorwurf, der Kläger habe am 30. November 2022 an der SGSA26-Gittermattenschweißmaschine gearbeitet, ohne den vorgeschriebenen Schutzhelm zu tragen. Zum anderen begründet sie die Kündigung damit, dass der Kläger am 4. Dezember 2022 um 18:20 Uhr einen Arbeitsunfall selbst verschuldet habe. Er habe eine schwebende Last unter dem Kran angefasst, obwohl dies nach den bestehenden Sicherheitsvorschriften, die ihm in der Ausbildung zum Kranführer vermittelt worden seien, streng verboten sei. Der Kläger habe nach seiner Unfallschilderung versucht, einen pendelnden Coil-Ring, den er mit dem Lastenkran an die Haspel herangefahren habe, mit der Hand zu beruhigen. Dies sei ihm nicht gelungen. Dadurch sei er mit der Hand zwischen den Coil-Ring und den Abhaspel geraten und habe sich Quetschungen am rechten kleinen Finger zugezogen. Am 5. Dezember 2022 fand eine Unfallbegehung statt, an der neben dem Kläger und seinem Vorgesetzten die zuständigen Mitarbeiter der Arbeitssicherheit, die Produktionsleitung, ein Mitarbeiter der Personalabteilung und ein Mitglied des Betriebsrats teilnahmen. Die Unfallanzeige an die zuständige Berufungsgenossenschaft Holz und Metall wurde für den Betriebsrat vom Betriebsratsvorsitzenden mitunterzeichnet.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers zum 31. Juli 2023 an. Sie fügte dem Anhörungsbogen die sechs Abmahnungen bei. In dem Schreiben heißt es ua:
"Darlegung der Kündigungsgründe:
Herr A. missachtete am 30.11.2022 das Tragen eines Schutzhelms an der SGSA 26. Des Weiteren ereignete sich am 04.12.2022 ein selbstverschul...