Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen der fehlerhaften Vereidigung eines ehrenamtlichen Richters

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Urteil, an dem ein zwar ordnungsgemäß berufener, aber nicht ordnungsgemäß vereidigter Richter mitgewirkt hat, ist zwar kein Scheinurteil, unterliegt aber der Aufhebung.

2. Die unberechtigte Entnahme von Firmengeld aus einem Tresor zu privaten Zwecken stellt auch bei Hinterlegung eines Zettels über die Entnahme einen "an sich" wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.

3. Jedoch kann eine Abwägung der Parteiinteressen im Einzelfall ergeben, dass das Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber demjenigen des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt.

 

Normenkette

ArbGG § 68; BGB § 626 Abs. 1; DRiG § 45 Abs. 2 S. 1; KSchG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 04.08.2021; Aktenzeichen 7 Ca 240/21)

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 01.09.2021; Aktenzeichen 7 Ca 240/21)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 1. September 2021, Az.: 7 Ca 240/21, aufgehoben.

    Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. August 2021, Az.: 7 Ca 240/21, wird aufgehoben.

    Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14. Januar 2021 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31. März 2021 fortbestanden hat.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) haben der Kläger zu 1/2 und die Beklagte zu 1/2 zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung vom 14. Januar 2021.

Der 1996 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 18. Dezember 2018 beschäftigt, zunächst als gastgewerbliche Arbeitnehmer, seit dem 1. April 2019 als Shift Manager/Schichtleiter in der P. Filiale im Forum Mittelrhein A-Stadt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Anstellungsvertrag vom 1. April 2019/16. Mai 2019 (Bl. 5 ff. d. A.) zugrunde. Auf das Arbeitsverhältnis fanden gemäß § 2 Abs. 1 des Anstellungsvertrages ergänzend die für die Beklagte einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Dies ist der Mantel- und Entgelttarifvertrag des Bundesverbandes der Systemgastronomie e.V. (BdS).

Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist nicht gebildet.

Der Kläger erzielte eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 1.589,00 € bei 18,5 Stunden/Woche. Seit November 2020 befand er sich in Folge der Corona-Pandemie in Kurzarbeit.

Die Abrechnung des Klägers für den Monat Dezember 2020 (Bl. 89 d. A.) wies einen Nettobetrag in Höhe von 940,92 € aus, der Auszahlungsbetrag betrug nach Abzug eines Betrages für eine "Nachberechnung" über 659,58 € nur 281,34 €.

Am 28. Dezember 2020, 16:39 Uhr betrat der Kläger die wegen der Corona-Pandemie geschlossene Filiale mit dem ihm überlassenen Alarmtransponder und löste dabei einen Sicherheitsalarm aus. Er entnahm 650,00 € aus dem in der Filiale befindlichen Tresor und hinterließ im untersten Fach einen Zettel mit seinem Namen, dem Betrag und seiner Unterschrift (Bl. 35 d. A.). Eine konkrete Absprache bzw. Erlaubnis der Zeugin E. zur Entnahme der 650,00 € am 28. Dezember 2020 durch den Kläger gab es nicht.

Die von der Sicherheitsfirma alarmierte verantwortliche Restaurantleiterin E. vermutete zunächst einen Fehlalarm bis sie am 30. Dezember 2020 bemerkte, dass im Tresor 650,00 € fehlten.

Die Filialleiterin Frau E. informierte ihren Vorgesetzten über das Fehlen des Geldes. Dieser veranlasste die Auswertung der Videoüberwachung. Diese zeigte, wie der Kläger die Filiale betrat, den Tresor öffnete, Geld entnahm und den Zettel deponierte.

Herr R. sprach den Kläger hierauf am 8. Januar 2021 an. Der Kläger erklärte, er habe das Geld genommen, weil er für Dezember 2020 zu wenig Gehalt bekommen habe. Der "Vorschuss" sei üblich und abgesprochen gewesen.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 2021 (Bl. 36 d. A.) mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14. Januar 2021 zum Vorwurf des Diebstahls in einem besonders schweren Fall an.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2021 (Bl. 20 d. A.), dem Kläger zugegangen am 16. Januar 2021, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit seiner am 2. Februar 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 9. Februar 2021 zugestellten Kündigungsschutzklage.

Die Beklagte erstattete am 25. Januar 2021 Strafanzeige gegen den Kläger (Bl. 37 ff. d. A.). Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren endete mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsger...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?