Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung durch den Arbeitgeber. Anforderungen an das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl zu kündigender Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit geprüft werden. Dabei gilt der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur für die Auswahlkriterien und ihrer relativen Gewichtung selbst, sondern auch die Bildung der auswahlrelevanten Arbeitnehmergruppe.
2. Hat der Betriebsrat, etwa durch Verhandlungen über den Interessenausgleich oder auf andere Weise, Kenntnisse über die Umstände einer beabsichtigten Massenentlassung erlangt, so können zur Durchführung des Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG schlagwortartige Informationen genügen, sofern diese später vervollständigt werden.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 113 S. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 13.01.2022; Aktenzeichen 6 Ca 194/21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 13. Januar 2022, Az. 6 Ca 194/21, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Die Beklagte ist ein Kranhersteller. Sie beschäftigte in ihren zwei Werken am Standort Z. (Y.-straße und X.) vor der Massenentlassung 1.536 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Der im März 1979 geborene Kläger (ledig, kinderlos) war seit dem 10. September 2007 bei der Beklagten, zuletzt als Montageschlosser, beschäftigt. Er gehört mit einem Grad der Behinderung von 50 zum Personenkreis schwerbehinderter Menschen. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der pfälzischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung. Der Kläger war in Entgeltgruppe 5 ERA eingruppiert.
Unter dem 8. Oktober 2020 beantragte die Beklagte die Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung nach § 270b InsO. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (1 IN 52/20) hat das zuständige Amtsgericht Zweibrücken die vorläufige Eigenverwaltung im Schutzschirmverfahren angeordnet und WP/StB W. zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Mit Beschluss vom 1. Januar 2021 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet.
Nach Verhandlungen schloss die Beklagte am 4. Januar 2021 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, einen Insolvenzsozialplan sowie eine Betriebsvereinbarung zur Schaffung von Auffangstrukturen, die ua. die Errichtung einer Transfergesellschaft vorsah. Im Interessenausgleich wurden Umstrukturierungsmaßnahmen beschrieben, die zu einem Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten führten. Es wurden ua. 58 Versetzungen, 51 Änderungskündigungen sowie 392 Beendigungskündigungen geregelt. In der mit dem Interessenausgleich fest verbundenen Namensliste der Mitarbeiter, denen die betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen werden sollte, findet sich auch der Name des Klägers. Der Kläger lehnte den angebotenen Übertritt in die Transfergesellschaft ab.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2021 hörte die Beklagte sowohl den Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung zu einer beabsichtigten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Klägers mit der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO an. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung stimmten der Kündigung mit Schreiben vom 11. Januar 2021 zu. Mit Formular und Begleitschreiben vom 11. Januar 2021 nebst Anlagen erstattete die Beklagte bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG, deren Eingang die Agentur am 11. Januar 2021 bestätigte. Mit Bescheid vom 26. Februar 2021 stimmte das zuständige Integrationsamt der beabsichtigten Kündigung zu. Nach Zugang des Zustimmungsbescheids hörte die Beklagte am 4. März 2021 Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung vorsorglich erneut an. Noch am 4. März 2021 nahmen beide Gremien abschließend Stellung und stimmten der Kündigung zu.
Mit Schreiben vom 5. März 2021, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2021. Hiergegen erhob der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 5. März 2021 nicht beendet wird,
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Montageschlosser weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
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