Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Abrechnungsklausel im Prozessvergleich. Abrechnungs- und Auszahlungsfunktion als "ordnungsgemäße Abrechnung". Anspruchsverzicht im Prozessvergleich
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit im Vergleich Zahlungsverpflichtungen nicht expressis verbis genannt sind, ist nach Auslegung der Klausel gemäß §§ 133, 157 BGB diese so zu verstehen, dass nach Abrechnung auch die dem Arbeitnehmer zustehende Bruttosumme zur Auszahlung gelangen soll.
2. Wollen die Parteien nicht nur ein reines Abrechnungsverhältnis, sondern das Arbeitsverhältnis insgesamt finanziell abwickeln, kann unter der "ordnungsgemäßen Abrechnung" dann nichts anderes verstanden werden. Wollen die Parteien darauf verzichten, bedarf es einer entsprechenden eindeutigen Regelung zur Dokumentierung des Verzichtswillens.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611 a; EFZG § 3 Abs. 1; KSchG §§ 9-10; ZPO §§ 92, 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 23.06.2020; Aktenzeichen 11 Ca 3651/19) |
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 29.07.2020; Aktenzeichen 11 Ca 3651/19) |
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. Juni 2020, Az. 11 Ca 3651/19, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.744,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2019 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien um einen Vergütungsanspruch des Klägers für Juni 2019 und um die Frage, ob dieser Anspruch aufgrund eines im Nachgang vereinbarten Prozessvergleichs ausgeschlossen ist.
Der Kläger war vom 01.10.2018 bis zum 30.06.2019 bei der Beklagten als LKW-Fahrer zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.940,- EUR beschäftigt.
Am 17.06.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, wogegen sich der Kläger mit einer vor dem Arbeitsgericht Koblenz, Aktenzeichen 11 Ca 1783/19, erhobenen Kündigungsschutzklage wendete.
Im Gütetermin des Kündigungsschutzverfahrens schlossen die Parteien den folgenden Vergleich:
1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, arbeitgeberseitiger Kündigung vom 17.06.2019 mit Ablauf des 30.06.2019 sein Ende gefunden hat.
2. Die Beklagte erteilt dem Kläger die noch ausstehenden Lohnabrechnungen und verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2019 ordnungsgemäß abzurechnen.
3. Der Beklagte zahlt an den Kläger in entsprechender Anwendung der §§ 9,10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 2.000,00 EUR brutto.
4. Der Beklagte erteilt dem Kläger ein qualifiziert wohlwollendes Arbeitszeugnis.
5. Damit sind sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und im Zusammenhang mit dessen Beendigung, gleich ob bekannt oder unbekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt.
Die Beklagte brachte die Abfindung zur Auszahlung, darüberhinausgehende Zahlungen leistete sie nicht, insbesondere zahlte sie keine Vergütung für Juni 2019 aus.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte hätte den Monat Juni 2019 abrechnen und die Nettovergütung an ihn auszahlen müssen. Zwar fehle eine explizite Formulierung hierzu im Vergleich, dies sei jedoch selbstverständlich und von den Parteien nicht anders gedacht gewesen. Mit der Formulierung, das Arbeitsverhältnis sei "abzurechnen", sei auch gemeint, dass das Gehalt auszuzahlen sei. Andernfalls hätte man den Vergleichswortlaut mit "erteilt die noch ausstehenden Lohnabrechnungen" formulieren müssen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.940,- EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hierzu hat sie in erster Instanz vorgetragen, es sollte nur die Abfindung gezahlt und die Lohnabrechnungen erteilt werden. Darüber hinaus seien keine Ansprüche des Klägers vereinbart worden. Dies komme durch die Erledigungsklausel in Ziffer fünf des Vergleichs zum Ausdruck.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die im Vergleich vorgesehene Abgeltungsklausel regele, dass keine wechselseitigen Ansprüche mehr bestehen, wenn die Verpflichtungen aus dem Vergleich erfüllt sind. Hierzu zähle es aber auch, die Vergütung für Juni 2019 nicht nur abzurechnen, sondern den sich ergebenden Nettoanspruch an den Kläger auch auszukehren. Dies ergebe eine Auslegung des Vergleichs. Mit der Wendung "ordnungsgemäße Abrechnung" sei gemeint, dass neben der Verpflichtung zur Erteilung von Lohnabrechnungen als weitere Verpflichtung die Auszahlung der entsprechenden Beträge stehe. Dies komme durch die Regelung zur Verpflichtung zur Erteilung von Lohnabrechnungen und die Verpflichtung, das Arbeitsverhältnis abzurechnen, zum Ausdruck. Die Parteien haben die Abrechnungserteilung nicht doppelt regeln wollen. Daher stehe die Erledigung...